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In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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der Ikas Blick gefolgt war. »Schade, dass er ein Idiot ist. Weißt du, Kleines, ich denke, wir beide werden uns schon einigen. Bist du das, die da so schön tanzt?«
    Im Film strippte Ika zum Song der Barry Sisters »Yuh, Mein Tiere Dochter«. Ein Plagiat natürlich – die Idee hatte Mark aus dem Film »Der Nachtportier« geklaut. Zu Beginn trug Ika weite Reithosen mit Hosenträgern, Uniformjacke und Schirmmütze.
    »Was für ein Körper, was für eine Elastizität, einfach super«, sagte Matwej und schnalzte widerlich mit der Zunge. »Du bist ein tolles Mädchen, weißt du das?«
    Ich will kein Mädchen sein, auch keine Frau, ich will gar nichts sein, ich will nicht leben. Lieber Gott, hol mich weg aus dieser Welt, zu Mama und Papa, dachte Ika.
    Das wiederholte sie fast jede Nacht, wie ein Gebet oder eine Sprechübung.
    »Um zu sprechen, musst du sprechen«, hatte der Logopäde zu ihr gesagt, »und versuche, auch laut zu denken.«
    Also dachte sie laut, murmelte vor sich hin – unter der Dusche, mit der Nase im Kopfkissen oder auf dem Friedhof am Grab ihrer Eltern.
    Papas Supermärkte hatte der Mann bekommen, der den Killer gedungen hatte. Das wusste jeder, trotzdem wurde ernicht vor Gericht gestellt und nicht ins Gefängnis gesteckt. Er fuhr unbehelligt in einem riesigen Jeep durch die Stadt.
    An Besitz war Ika und ihrer Tante nur die Wohnung geblieben. Die Tante verkaufte sie sofort und erwarb stattdessen eine kleine Zweizimmerwohnung eine Straße weiter. Da sie Buchhalterin war, fand sie relativ schnell Arbeit.
    Das erste Jahr mit ihr war für Ika ganz erträglich. Ika, bereit, sich jedem menschlichen Wesen anzuschließen, bemühte sich nach Kräften, es Tante Sweta in allem recht zu machen. Sie hatte niemanden mehr außer ihr. Abgesehen von Mamas Vater in Amerika, aber der hatte eine neue Familie, neue Kinder und Enkel. Er war nicht einmal zur Beerdigung gekommen.
    »Was kuckst du so? Passt dir was nicht? Warum hast du diese Bluse angezogen? Die ist ja durchsichtig! Wen willst du damit anlocken? Ganz die Mutter, du benimmst dich wie eine Prostituierte. Wer spült denn so Geschirr? Los, komm mal her! Warum hast du nicht Staub gewischt? Was machst du eigentlich den ganzen Tag?«
    Die Tante war fünfzig, nie verheiratet gewesen und kinderlos.
    Sie gehörte zu den Menschen, die jeden hassen und ihren Hass in die wohlanständige Form einer »Meinung« kleiden. Ihre Standardformel lautete: »Ich meine …«
    Vermutlich hatte sie im ganzen Leben noch nie etwas Positives gemeint. Nur Böses und Schlechtes.
    Lieblingsobjekt ihrer »Meinung« war Ikas Mama.
    »Ich meine, sie ist an allem schuld. Deine liebe Mama! Sie hat Pawlik eingewickelt und zur Heirat genötigt. Dann hat sie ihn zu diesem verdammten Business gezwungen und selber faul zu Hause gesessen. Er musste schuften, aber sie konnte nie genug bekommen – allein das viele Gold, das sie sich gekauft hat! Ich meine, ich hatte im ganzen Leben nie so viel, dabei hätte Pawlik seiner leiblichen Schwester ruhig auch mal einen Ring oder ein Paar Ohrringe schenken können, aber nein, alles nur für dieses blonde Flittchen, deineliebe Mama. Was war sie denn, frage ich dich? Eine ungebildete dumme Gans, das Einzige, was sie konnte, war mit dem Hintern wackeln. Und an dem war auch nicht viel dran.«
    Anfangs weinte und schrie Ika, stürzte sich mit Fäusten auf die Tante, wofür sie heftige Ohrfeigen und weitere »Meinungen« kassierte.
    Einen Teil des Schmucks von Ikas Mutter versetzte die Tante, einen Teil behielt sie. Ika bebte jedesmal vor Wut, wenn sie sah, wie die Tante Mamas Ohrringe anlegte oder Mamas Ringe, die sie eigens hatte weiten lassen, auf ihre dicken Finger schob.
    »Was glotzt du so, he? Geh Schularbeiten machen! Das ist mein volles Recht, ist alles vom Geld meines Bruders gekauft. Verschwinde, Schmarotzerin, ich will dich nicht mehr sehen! Ich steck dich ins Kinderheim, damit du kapierst, wer du bist. Ich meine, in einem normalen Heim nehmen sie dich bestimmt gar nicht, du bist ja debil, das Einzige, was du kannst, ist, mit dem Hintern wackeln und die Beine schwenken bei deinem Geturne. Kannst ja nicht mal richtig sprechen – i-i-i!« Sie zog eine Grimasse und ahmte Ikas Stottern nach.
    In Gegenwart Fremder war die Tante ganz anders. Sie verzog die Lippen zu einem einschmeichelnden Lächeln, ließ die Augen hin und her huschen und sprach mit gedehnter, tränenfeuchter Stimme.
    »Ich meine, wir sind arme Leute, von meinem Bruder ist mir nichts

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