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In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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bei den Katschalows kennengelernt und sie dann mehrfach dort getroffen.
    Shenja war noch ziemlich klein, nervös und voller schrecklicher Komplexe. Sie hielt sich für hässlich, konnte nicht in den Spiegel schauen, hielt sich krumm und kämmte sich die Haare ins Gesicht. Ika erzählte ihr ihre eigene Geschichte und machte ihr weis, das zwischen ihr und Mark sei wahre Liebe, und sie würden bald heiraten. Shenja hörte mit offenem Mund zu.
    Mein Gott, sie war damals erst elf, dachte Ika plötzlich. Und ich achtzehn. Keiner von denen, die bei ihrem Vater ein und aus gingen, hat das kleine Mädchen beachtet. Und ich sprach mit ihr wie mit einer Erwachsenen, von gleich zu gleich. Manchmal machten wir zusammen einen Einkaufsbummel. Dann stellte ich sie Mark vor. Ohne Hintergedanken, rein zufällig. Ich wollte das wirklich nicht. Jedenfalls trafen wir uns eines Tages zu dritt in einem Café. Mark kanngut mit Kindern. Shenja war sofort von ihm begeistert. Dabei hat er nichts weiter getan, hat sie zum Lachen gebracht und ihr erzählt, wie schön sie sei und wie toll sie sich vor der Kamera machen würde.
    Warum habe ich damals nicht geschrien: Lauf weg, Dummchen! Und warum ist sie später nicht weggelaufen, als wir bei Mark im Studio waren und sie sich ausziehen sollte? Sie wollte erwachsen sein, cool und ohne Komplexe. Und sie wollte Geld. Mark hat ihr sofort hundert Dollar hingeblättert und gesagt, die hätte sie ehrlich verdient. Sie wünschte sich schon lange echte Marken-Inlineskates. Sie hatte es satt, ständig ihren Vater anzubetteln.
    Ika fiel ein, wie sie und Shenja vor anderthalb Jahren einmal darüber gesprochen hatten, dass einer ihrer Kunden womöglich der Psychopath war, der die drei Jugendlichen umgebracht hatte.
    »Weißt du, ich will aufhören«, sagte Shenja. »Ich kann nicht mehr.«
    »Na, dann hör doch auf.«
    »Na klar, und Mark schickt meine Fotos an meinen Papa und meine Schule. Ich hab mir einen Videoclip ausgedacht, der wird bestimmt super. Aber wenn Papa von dem hier erfährt, macht er meinen Clip bestimmt nicht und sagt sich von mir los. Und überhaupt …«
    Ika wusste, was dieses »überhaupt« bedeutete. Geld. Mark hatte Shenja und Stas vom Geld abhängig gemacht. Die beiden arbeiteten ausschließlich des Geldes wegen. Ika hatte einfach keine andere Wahl. Sie hatte keine Ausbildung, keine Wohnung und keinen Menschen auf der Welt außer Mark. Sie hasste ihn, und sie liebte ihn. Eigentlich wäre es gerechter gewesen, wenn der Mörder nicht Shenja getötet hätte, sondern sie, Ika.
     
    In Rodezkis Wohnung fand eine Haussuchung statt. Solowjow hatte Shenjas Tagebuch mit einer Lupe gelesen – imEntziffern schlechter Handschriften war er genauso geübt wie der alte Lehrer. Anschließend nahm Major Sawidow das Tagebuch an sich und bewaffnete sich ebenfalls mit einer Lupe.
    Zwei Stunden bevor sie in die Wohnung gefahren waren, hatten sie Karina Awanessowa noch einmal ins Lehrerzimmer gebeten. Ihr Mutter begleitete sie, eine füllige, stimmgewaltige Dame. Sie sprach mit starkem armenischem Akzent und ließ ihre Tochter nicht zu Wort kommen, sondern antwortete an ihrer Stelle.
    »Karina liest keine fremden Tagebücher!«, erklärte sie, die Frage unterbrechend. »Was wollen Sie noch von meinem Kind? Sehen Sie nicht, in welcher Verfassung sie ist?«
    »Karina, du bist gestern nach dem Unterricht zu mir gekommen und hast gesagt, Shenja hätte die Hefte verwechselt«, erinnerte sie der Lehrer.
    »Ich weiß nicht.«
    »Bist du zu ihm gegangen oder nicht?«, fragte Solowjow.
    »Nein. Ja. Wegen des Aufsatzes.«
    »Habt ihr über Shenjas Heft gesprochen?«
    »Ja. Nein. Ich erinnere mich nicht.«
     
    »Natürlich erinnert sie sich nicht! Wie soll sie sich in dieser Verfassung an irgendetwas erinnern?«, schimpfte die Mutter.
    »Shenja hat dich angerufen und gebeten, die Hefte auszutauschen, sie hatte sie verwechselt und nicht das mit dem Aufsatz abgegeben. Du hast gesagt, Shenja sei krank, chronische Bronchitis«, sagte der alte Lehrer, bemüht, ruhig und sanft zu klingen.
    »Ja, sie war krank. Ich habe ihren Aufsatz abgegeben. Ich weiß nichts, ich habe das Heft nicht aufgeschlagen.«
    Das Mädchen zitterte und weinte. Die Männer ließen sie gehen, ohne etwas aus ihr herausbekommen zu haben.
    »Ich bin sicher, das graphologische Gutachten wird mühelos bestätigen, dass dies eine Fälschung ist«, wiederholteSawidow. »Überhaupt ist das alles gelogen, von Anfang bis Ende.«
    »Nein, das ist es nicht«,

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