In ewiger Nacht
Absolut impotent, aber etwas Schlimmeres sei ihr nie begegnet. Als wäre er kein Mensch, sondern ein Roboter.
»Mach mal halblang, entspann dich«, hatte Mark gesagt.
Shenja wollte nicht zum zweiten Treffen gehen. Sie hatte Angst. Zumal dieser Roboter mit ihr nach irgendwohin außerhalb fahren wollte. Aber Mark hatte sie überredet. Ihr versprochen, ihr diesmal das Doppelte zu zahlen.
»Kapier doch, er will dich und keine andere. Das ist Liebe, dumme Gans! Erhabene Gefühle muss man respektieren.«
Schließlich war Shenja einverstanden gewesen, aber nicht wegen des Geldes. Nachdem Mark Fotos und Clips auf seine Website gestellt hatte, auf denen man die Gesichter sah, hatte Shenja höllische Angst davor, Mark könnte eins dieser Bilder an ihren Vater, ihre Schule oder den Schwachkopf Vaselin mailen, in den sie sich blöderweise verliebt hatte, den sie sogar heiraten wollte.
Ja, am Sonntagabend hatte sich Shenja mit diesem neuen Kunden getroffen.
Laut Matwej wurde sie in der Nacht von Sonntag zu Montag im Wald gefunden, zwanzig Kilometer entfernt vom Stadtring.
Ika holte tief Luft, dann sagte sie heiser und deutlich: »Sh-shenja war mit ihm in der W-wohnung, wo eine Kamera ist. Er ist auf der K-kassette, wenn Mark die nicht rausgenommen hat.«
»Sie haben Shenja Katschalowa auf der Pornoseite von Mark Moloch entdeckt«, sagte der Ermittlungsleiter langsam, »und sie sofort erkannt?«
»Ja. Das heißt nein. Erst traute ich meinen Augen nicht. Ich war zuvor noch nie mit solchen Dingen in Berührung gekommen. Mit Kinderpornos, meine ich. Und dann sehe ich Shenja, meine Schülerin, noch ein Kind, in diesem Dreck! Der Computer blieb hängen, ich hatte irgendeine falsche Taste gedrückt, und das Bild ging einfach nicht weg. Ja, es war eindeutig Shenja.«
Der alte Lehrer bemühte sich, deutlich zu sprechen, nurdie Fakten wiederzugeben und niemandem seine Emotionen aufzudrängen. Doch das fiel ihm schwer, er verhedderte sich, wurde rot und hustete. Solowjow unterbrach ihn hin und wieder mit kurzen Fragen.
»Haben Sie Shenja nicht gefragt, warum sie es so eilig hat und wer in dem Auto auf sie wartet?«
»Nein. Ich war nervös, ich hatte einen Asthmaanfall. Sie hätte mir sowieso nicht die Wahrheit gesagt, da bin ich sicher. Sie sagte nur immer wieder, ich hätte mich geirrt, und auch sie war sehr nervös.«
Das Telefon des Kriminalisten klingelte. Er entschuldigte sich, stand auf, ging zum Schrank, sprach leise ein paar Worte und reichte den Apparat dann dem jungen Leutnant.
Der dicke Major rückte seinen Stuhl näher zu Rodezki und fragte: »Wie lange haben Sie auf dieser Bank gesessen?«
»Bestimmt eine Stunde oder länger. Es ging mir sehr schlecht. Aber dann kam eine Frau vorbei und begleitete mich bis zu meiner Haustür.«
»Eine Frau.« Der Major wiegte den Kopf. »Ihren Namen wissen Sie natürlich nicht.«
»Nein.«
»Woher haben Sie die Haarspange?«
»Die habe ich bei mir zu Hause gefunden, hinter den Büchern.«
»Sie leben allein?«
»Ja. Meine Frau ist gestorben. Mein Sohn lebt in Amerika.«
Warum fragt er das? Das haben Sie doch bestimmt schon herausgefunden. Dieser dicke Major bringt mich dauernd durcheinander.
»Was glauben Sie, wie ist die Haarspange zu Ihnen gelangt?«, meldete sich der Ermittlungsleiter.
»Manchmal kommen Schüler zu Nachhilfestunden zu mir nach Hause. Eines der Mädchen könnte die Spange bei mir vergessen haben. Deshalb habe ich sie heute mitgebracht, um zu fragen, wem sie gehört.«
Doch nicht etwa Shenja? dachte er.
Der junge Leutnant verabschiedete sich und ging schnell hinaus.
»Vergaßen Ihre Schüler manchmal auch andere Sachen bei Ihnen?«, mischte sich der unfreundliche Dicke wieder ein.
»Ja, das kam vor. Hefte, Stifte, verschiedene Kleinigkeiten.«
»Kam Shenja Katschalowa auch zu Nachhilfestunden zu Ihnen nach Hause?«
»Ja. Aber das ist lange her. Das war im Herbst. Hören Sie, ich wollte Ihnen noch etwas sehr Wichtiges sagen. Es ist nämlich so, dass mir zufällig Shenjas Tagebuch in die Hände gefallen ist. Sie führte es in einem gewöhnlichen Schulheft und gab es versehentlich anstelle ihres Aufsatzes ab. Das habe ich erst gestern erfahren, am Montag, nachdem ich mich mit ihr getroffen hatte. Es ist sehr schwer zu entziffern; eine furchtbare Schrift.«
»Sie haben es also nicht gelesen?«, fragte der Major.
»Ich kann jede Schrift lesen. Das bringt der Beruf so mit sich.«
»Worum geht es darin?«
»Das kann ich nicht mit zwei Worten
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