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In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Frauen. Von Männern ganz zu schweigen …« Er seufzte, drückte die Zigarette aus und klatschte sich auf den Kopf.
    »Erzürnen Sie Gott nicht, Sie haben keine Spur von einer Glatze.«
    »Doch, sieh mal, hier oben lichtet es sich.« Er beugte den Kopf.
    »Alles bestens, Kirill. Sie haben übrigens einen zweifachen Scheitel.«
    »Ach? Das wusste ich gar nicht. Und was bedeutet das?«
    »Sie müssen ein sehr glücklicher Mensch sein.«
    »Du bist komisch …« Er strich ihr mit dem Finger über die Wange. »Du glaubst an solchen Quatsch? Zweifacher Scheitel. Na schön, mein Herz, jetzt erzähl mal, warum du mich hergeholt hast.«
    »Ich habe Sie gebeten zu kommen«, sagte Olga zögernd, »weil ich glaube, dieser Mann, der Karussellfahrer, ist in Wirklichkeit Mark Moloch.«
    »Entschuldige – wer?« Guschtschenko putzte mit dem Kittelsaum seine Brille und setzte sie wieder auf.
    Den Namen konnte er nicht vergessen haben. Er war nur erstaunt, und gleich würden sie sich wohl wieder streiten wie vor anderthalb Jahren. Olga spürte seine Anspannung. Er wollte nicht auf diese Geschichte zurückkommen. Kein Wunder, er hatte damals verloren. Sein Team war aufgelöst, der Mörder nicht gefasst worden.
    Wie viel Widerwärtiges hatte sie damals im Internet gelesenund gesehen! Dabei war sie immer wieder auf einen Autor gestoßen: Mark Moloch. Und die Monologe des Karussellfahrers erinnerten stark an dessen Stil.
    »Hier, hören Sie sich das einmal an.« Sie schob eine Kassette in ihr Diktiergerät, schaltete es ein und breitete ausgedruckte Pornogeschichten vor Guschtschenko auf dem Tisch aus. Diese Blätter hatten lange in ihrem Schreibtisch gelegen; sie hatte gehofft, sich nie wieder damit beschäftigen zu müssen, sie schon mehrfach zerreißen und wegwerfen wollen. Aber irgendetwas hatte sie daran gehindert.
    »Das kleine Mädchen möchte, dass jemand ihm über den Kopf streicht und es hinterm Ohr krault. Das kleine Mädchen mag Gruselmärchen. Der große Onkel könnte ihr von morgens bis abends welche erzählen …«
    Nun wurde die Geschichte gruselig. Eine tote Hand mit elastischen Wurmfingern kam aus einem Klavier gekrochen. Dann war sie bei dem Mädchen unter der Decke. In blumigen literarischen Worten, leicht ironisch, wurde beschrieben, wie ein Erwachsener ein Kind vergewaltigt und tötet und ihm dabei Gruselmärchen erzählt. Die Stimme aus dem Diktiergerät klang ebenso einschmeichelnd und sprach in ebenso wohlgesetzten Worten zu Doktor Filippowa wie der Karussellfahrer.
    Zutaten der nächsten Geschichte waren Schlittschuhlauf, der Geruch eines frischgebügelten Pioniertuchs und die Pioniersendung im Radio. Sie spielte Anfang der Siebziger. Das Mädchen ist auf dem Weg zur Schule und steigt zu einem gutaussehenden Mann mit grauen Haaren in ein glänzendes schwarzes Auto. »Sag mal, kannst du Schlittschuh laufen? Kannst du eine Schwalbe? Zeig mir doch mal, wie hoch du das Bein schwingen kannst.«
    »Konnten Sie eine Schwalbe? Wie hoch konnten Sie das Bein schwingen? Ach, wissen Sie, zu weißen Schuhen gehört eigentlich eine weiße Tasche.«
    Guschtschenko schaltete das Diktiergerät aus, nahm die Kassette heraus und schob die Ausdrucke zusammen.
    »Ich dachte, du wärst inzwischen zur Vernunft gekommen, Olga«, sagte er langsam und nachdenklich.
    »Aber es ist doch wirklich sehr ähnlich. Er zitiert fast wortwörtlich. So kann nur einer diese Texte kennen und lieben – der Verfasser.«
     
    Das Kennzeichen des Wagens der Verkehrswacht und den Namen des Unterleutnants merkte sich Anton für alle Fälle. Sobald dieser ihn wieder wegließ, fuhr er zügig die Choroschewka entlang in Richtung Begowaja. Sollte es einen Stau geben oder eine rote Ampel, konnte er es schaffen. Doch er sollte dem alten Shiguli seines Vaters sicherheitshalber eine Atempause gönnen.
    Anton parkte am Straßenrand, sprang aus dem Auto und hob den Arm. Fast sofort hielt ein ramponierter alter Wolga. Am Steuer saß ein Mann um die siebzig, braungebrannt und voller Knitterfalten, das lange graue Haar zum Pferdeschwanz gebunden, Schnauzbart, stone-washed-Jeansanzug.
    »Wohin soll’s gehen?«, fragte er fröhlich.
    »Zur Begowaja!« Anton setzte sich neben den Fahrer. »Aber möglichst schnell.«
    Der Rücksitz war vollgepackt mit Holz- und Eisenteilen und Lumpen.
    »Eile mit Weile«, sagte der Alte.
    »Schnell, bitte!«, bat Anton und zog seinen Ausweis aus der Tasche.
    Der Mann warf einen flüchtigen Blick darauf, lachte spöttisch und fuhr los.

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