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In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Puppenparadies, nach Hause zu Mama und Papa, an den einzigen Ort, an dem sie sich in Sicherheit fühlte. Rief sich alle ihre Puppen, Teddys und Äffchen in Erinnerung, roch an den Blüten des kleinen Zitronenbäumchens im Topf am Fenster.
    »He, Kleine, was soll das Theater? Du wolltest doch mit uns in die Wohnung mit der versteckten Kamera«, redeteMatwej auf sie ein, »du wolltest uns helfen, den Mörder zu finden, der Shenja getötet hat. Was ist denn jetzt?«
    Ika legte den Finger auf die Lippen – sie wollte nicht gestört werden. Sie saß auf der Schaukel in der Turnecke ihres Kinderzimmers. Die Schaukel flog bis an die Decke. Die Decke war hoch und nicht weiß, sondern himmelblau, und Ika und Papa hatten Wolken und eine Sonne darauf gemalt. Das heißt, die Sonne und die Wolken hatte Papa gemalt, Ika hatte nur Augen und Mund ergänzt, damit sie sie anschauten und lächelten.
     
    »Er soll ruhig eine Weile hierbleiben«, sagte Professor Guschtschenko, als Olga in ihr Zimmer zurückkam. »Ich halte ihn eher für krank als für gesund. Ich würde ihm nicht voreilig Simulation unterstellen, Olga.«
    Der Patient war blass, seine Augen huschten unruhig umher. Schweiß rann ihm über die rasierte Wange.
    »Gedächtnisverlust, Anzeichen für Depersonalisation, das heißt, der eigene Körper wird als fremder Zwilling in Raum und Zeit wahrgenommen, eine eindeutige Spaltung der Psyche. Anzeichen für Wahn. Halluzinationen. Pathetik, Trägheit, Rigidität. Plus emotionale Abgestumpftheit. Schizophrenie, vorerst mit einem ganz kleinen Fragezeichen, aber ich denke, das Fragezeichen wird bald entfallen, die Diagnose wird sich bestätigen. Die Therapie kann sofort begonnen werden. Psychopharmaka und Insulinkoma-Behandlung.«
    Der Professor sprach ruhig und ein wenig spöttisch. Olga wusste, dass seine Rede mehr für den Patienten gedacht war als für sie. Er war nur kurz mit dem Karussellfahrer allein gewesen, rund zwanzig Minuten, aber dieser war vollkommen verändert. Seine Dreistigkeit war wie weggeblasen. Er schwieg, und das war besonders seltsam. Er saß zusammengekrümmt auf einem Stuhl, den kahlgeschorenen Kopf tief zwischen die Schultern gezogen, und wickelte eine Ecke seiner Pyjamajacke um einen Finger.
    »Also, mein Lieber, fangen wir an mit der Behandlung?« Der Professor stand auf, trat zu dem Karussellfahrer, legte ihm die Hand auf die Schulter und zwinkerte Olga zu.
    Der Patient zuckte zusammen und krümmte sich unter der Berührung. Olga tat der freche Schwätzer sogar leid. Er wirkte plötzlich ganz unglücklich und verstört, besonders im Kontrast zu dem ruhigen, selbstbewussten, fröhlichen Kirill Guschtschenko. Olga hatte ihren Lehrer lange nicht mehr in so guter Form gesehen. Vor anderthalb Jahren, als sie sich das letzte Mal trafen, stand er kurz vor einem Nervenzusammenbruch. Aber ihr selbst ging es damals auch kaum besser. Sie hatten viele unangenehme Auseinandersetzungen, Guschtschenko vergaß sich mitunter und brüllte sie grob und beleidigend an.
    Nein, nicht mehr dran denken, rief sich Olga zur Ordnung.
    »Gehen Sie sich ausruhen«, sagte Guschtschenko zum Karussellfahrer, »alles wird gut, Olga und ich werden Ihnen helfen.«
    Der Patient stand auf und wankte hinaus. Bevor er verschwand, warf er einen raschen Blick auf Olga, als wolle er ihr etwas sagen, blieb aber stumm.
    »Na, Olga«, der Professor legte ihr den Arm um die Schulter, »öffnen wir das Fenster und rauchen eine?«
    Der Wind wirbelte die Papiere auf dem Schreibtisch hoch. Olga zog eine Strickjacke über den Kittel. Sie setzten sich aufs Fensterbrett. Der Professor trug noch immer die Brille, und sie fühlte sich ein wenig unbehaglich, weil sie seine Augen nicht sah.
    »Sie haben ihm einen ziemlichen Schreck eingejagt, Kirill.«
    »War nicht meine Absicht.« Er lächelte schwach. »Ein widerlicher Typ. Übrigens ist er zweifellos krank.«
    »Sie meinen, es handelt sich wirklich um Schizophrenie?« Olga suchte Guschtschenkos Augen hinter der dunklen Brille – vergebens.
    »Zweifelst du daran?«
    »Ja. Darum habe ich Sie ja angerufen. Danke, dass Sie sofort gekommen sind.«
    »Ich war sowieso in der Nähe. Sag mal, wie lange haben wir beide uns nicht gesehen?« Er rückte ein Stück beiseite und nahm endlich die Brille ab. »Gut siehst du aus. Die Haare sind kürzer. Schade. Du hast schönes Haar.«
    »War vorher besser, ja?«
    »Nein. Es steht dir. Trotzdem schade um das Haar. Dichtes Haar ist heutzutage eine Seltenheit, sogar bei

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