Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
Vom Netzwerk:
habe alles satt. Das Leben ist Scheiße.«
    »Nein, Junge. Das Leben ist schön. Der Tod ist Scheiße. Gib mir das Ding. Das hat ein Mörder hier weggeworfen, warum hebst du jeden Dreck auf? Du hast versprochen, mirStepptanz beizubringen, erinnerst du dich? Ich kenne niemanden außer dir, der das kann. Und du bist darin Spitze; Marik, bitte, nimm die Hand runter, sie zittert doch, siehst du? Fühlst du deine warmen Tränen? Alles ist gut, du lebst, du bist stark und schön. In dich werden sich noch viele Frauen verlieben und ganz verrückt nach dir sein. Nimm die Hand runter, ganz vorsichtig, so, und jetzt die Finger lösen, lass dir Zeit, ja, prima. Du kommst bald hier raus, und niemand wird erfahren, in was für einer Klinik du warst und weshalb. Alles Schlimme ist vorbei. Du bist jetzt erwachsen, du hast die Kinderkrankheiten überwunden. Du wirst nach Hause gehen und ein neues Leben anfangen, mit allem, was dazugehört – Liebe, Arbeit, Freunde. Du wirst die ganze Welt bereisen, wirst auf Berge steigen und auf den Meeresgrund tauchen. Du wirst mir fehlen, wenn du weg bist, Marik. Gib mir bitte das Eisending.«
    Das Schwierigste war, seinen Finger vom Abzug zu lösen. Hinter Olga herrschte tiefe Stille, und als sie sich endlich umsah, staunte sie, wie viele Menschen sich hier versammelt hatten.
    Am nächsten stand Sina. Mit dem Rücken zu Olga und dem Gesicht zur Menge, die Arme ausgebreitet, schützte sie mit ihrem mächtigen Leib den Raum. Alle waren erstarrt, sogar die Patienten.
    Aus der Menge stachen zwei Frauengesichter heraus, beide totenblass. Die Mutter und die Tante.
    Olga sicherte die Pistole und gab sie Slawa, der sich als Erster näher heranwagte.
    Marik schlang die Arme um Olga und klammerte sich an ihrem Kittel fest, als wollte er sich hinter ihr vor der Menge verstecken; presste sein Gesicht an ihre Schulter und heulte laut auf.
    »Marik, mein Junge!« Seine Mutter rannte zu ihm, die Tante hinterher.
    Die Menge erwachte aus der Erstarrung, geriet lärmend inBewegung, und endlich kam Hilfe. Pfleger, Ärzte und Schwestern scheuchten die Patienten in ihre Zimmer.
    »Schon gut, Marik, geh zu deiner Mama.« Olga löste sich vorsichtig aus der Umklammerung des Jungen, ging zum Karussellfahrer und legte einen Finger an seinen Hals.
    Natürlich hatte er keinen Puls mehr. Nach dem Fleck auf der Pyjamajacke zu urteilen, hatte der Mörder das Herz getroffen.
    »Ich habe die Miliz angerufen, Olga, sie müssen jeden Augenblick hier sein«, sagte Sina dicht neben ihr. »Ich glaube, ich habe ihn gesehen. Mein Gott, ich hab ihn selbst hereingelassen! Ein kleiner dicker Blonder mit Bart. So um die dreißig. Ich bin gar nicht auf die Idee gekommen, zu fragen, zu wem er will. So ein anständiger, höflicher Mann. Bei all den Leuten hier, da fragt man doch nicht jeden. Ach, meine Liebe, Sie sind ja weiß wie die Wand, komm, mein Kind, komm.«
    Sina legte Olga den Arm um die Schultern, brachte sie in den Behandlungsraum und goss ihr ein Glas Wasser ein. Beim Trinken hörte Olga ihre Zähne gegen das Glas klappern.
    »Ach, das habe ich ja ganz vergessen!« Sina schlug die Hände zusammen. »Ein gewisser Solowjow hat angerufen. Ich soll Ihnen ausrichten, Sie möchten Ihr Handy einschalten.«
     
    »W-was wird jetzt mit m-mir?«, fragte Ika.
    »Du fährst nach Hause. Wenn wir noch Fragen haben, rufen wir dich an«, antwortete Anton.
    Sie saßen auf der Rückbank eines Milizwolgas. Es hatte angefangen zu regnen. Solowjow war noch immer nicht aufgetaucht.
    Ika wandte sich ab und fuhr mit dem Finger über die beschlagene Scheibe.
    »W-wohin – nach Hause?«
    Anton sah sie an. Sie war viel zu leicht angezogen: Dünner Pullover und ausgelatschte Turnschuhe, enge Jeans, die Taschen leer und keine Handtasche.
    »Moment mal – wo wohnst du eigentlich? Wo sind deine Sachen und deine Papiere?«
    »Alles d-dort, in der P-poleshajewskaja. D-die Schlüssel haben sie mitgenommen. D-dahin geh ich auf k-keinen Fall z-zurück.«
    »Vielleicht rufst du jemanden an?«
    »W-wen denn? M-mama und P-papa im Jenseits? Meine T-tante in B-bykowo?«
    »Ja, warum nicht?«
    »Sie hat A-alzheimer. Sie ist v-verrückt. K-klar fahr ich irgendwann z-zu ihr, aber später, j-jetzt schaff ich d-das nicht.«
    »Du hast wirklich niemanden außer einer Tante mit Alzheimer?«
    »N-nein.«
    Solowjow kam aus dem Haus zum Auto gerannt und sprang auf den Beifahrersitz.
    »Schnell, fahren wir.« Er nannte die Adresse.
    »Was denn«, fragte der Fahrer, »die

Weitere Kostenlose Bücher