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In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Psychoklinik?«
    »Ja. Mach Blaulicht und Sirene an. Der Pornograph ist erschossen worden, in der Klinik. Der Killer ist entkommen.«
    »M-mark!«, rief Ika klagend. Solowjow drehte sich um.
    »Ach, du bist auch hier. Sehr gut. Du wirst ihn identifizieren.«
    »N-nein! Ich k-kann nicht, ich w-will nicht! Erschossen! Ich k-kann nicht mehr! M-mama, P-papa und M-mark!«
    »Sie hat keine Papiere«, sagte Anton.
    »Egal, das erledigen wir später. Aber irgendwer muss ihn identifizieren, und sonst kommt niemand in Frage.«
    Wegen der Sirene mussten sie laut sprechen. Der Wagen raste über die Gegenfahrbahn, gefolgt von einem Jeep mit dem Rest des Teams.
    »Schon gut, ganz ruhig«, versuchte Anton Ika zu beruhigen und reichte ihr eine noch nicht ganz leere Wasserflasche.
    Sie trank sie leer, kam ein wenig zu sich und hörte auf zu zittern.
    Der Regen wurde immer stärker. Vor dem Stationsgebäude drängten sich die Besucher. Sie hatten das Gebäude verlassen müssen, gingen aber nicht weg. Die kleine Menge bestand im Wesentlichen aus älteren Frauen, die aufgeregt durcheinanderschnatterten.
    »Wie konnte das nur passieren? Eine geladene Pistole im Flur, bei psychisch kranken Patienten!«
    »Der Junge hätte sich beinahe umgebracht!«
    »Wer trägt dafür die Verantwortung?«
    »Ein Glück, dass Doktor Filippowa rechtzeitig da war und die Nerven behalten hat.«
    »Wer wurde denn getötet? Wer wurde getötet?«
    Ein Stück abseits parkten ein Leichenwagen, zwei Milizautos und sogar ein Minibus mit dem Logo eines Fernsehsenders.
    »Verdammt, die sind schon wieder vor uns da«, knurrte Anton.
    Vor dem Eingang zur Station nahm Olga sie in Empfang. Neben ihr stand ein junger Mann vom Fernsehen, Mischa Ossipow. Die Tür wurde von zwei Milizionären bewacht.
    »Aber mich können Sie doch reinlassen, Olga!«, rief Ossipow. »Nur mich und meinen Kameramann.«
    »Das ist nicht meine Entscheidung, Mischa. Die Miliz lässt Sie nicht rein.«
    »Dann bitten Sie sie darum. Ach, da ist ja Solowjow höchstpersönlich. Bitten Sie ihn, Ihnen wird er es nicht abschlagen.«
    »Doch«, sagte Solowjow, »zumindest vorerst. Warten Sie draußen, wir reden später.«
    Er ging zu Olga und küsste sie flüchtig und kühl auf die Wange.
    »Wie geht es dir?«
    Sie nahm seine Hand und flüsterte: »Dima, du, endlich …«
    Ihre Finger schienen eiskalt und zitterten leicht.
     
    Es verschaffte dem Wanderer keinerlei Befriedigung, dass er den Pornographen getötet hatte. Diese Sorte, das waren die Schlimmsten. Ein anschauliches Beispiel der Degradation, ein gehorsamer Vollstrecker des Willens der ewigen Nacht, eine Marionette, ein Zombie. Was machte es aus, ob er lebte oder nicht? An seine Stelle würden Dutzende, Hunderte ebensolcher Ungeheuer treten.
    Er durfte sich nicht mehr von seinem wichtigsten Ziel ablenken lassen. Um weiter leben und handeln zu können, musste er die Wandlingsfrau beseitigen.
    Sie erinnerte ihn irgendwie an die Erste damals. Sie hatte die gleichen Augen. Goldgrüne Iris, schwarz eingerahmt, und schwere, wie vom Schlaf geschwollene Lider. Und die gleiche Art, wie eine Katze die Augen zusammenzukneifen, leise und zärtlich zu lachen, den Kopf leicht gesenkt.
    Er fühlte sich genauso zu ihr hingezogen.
    Bis zu dem Tag, an dem diese erste Hominidin den kleinen Wanderer auf den Dachboden zerrte, hatte er ein paar Monate lang ein anderes Leben kennengelernt. Als wäre in der ewigen Nacht ein Loch aufgebrochen und Tageslicht eingedrungen. Und die Quelle des Lichts schien sie zu sein, das Mädchen.
    Er war kein Fettklops und keine Memme mehr. Jeden Tag zehn Liegestütze, Hanteln, Jogging und Sprünge. Er war nun groß, stark und schön. Anfangs hatte er sie nur aus der Ferne betrachtet, und sein Hals hatte sich gereckt wie eine dressierte Schlange beim Flötenton eines indischen Fakirs. Das Mädchen war Musik, eine eigentümliche, bezaubernde Kombination von Tönen. Das Mädchen war Wasser und er ein an Land geworfener Fisch. Das Mädchen war Wodka und er ein Trinker ohne eine Kopeke in der Tasche.
    Sie ging in die achte Klasse, er in die neunte. Wie ein Schatten folgte er ihr in den Hofpausen und nach dem Unterricht. Wenn sie ihn ansah, wandte er sich ab und wurde rot. Wenn sie ihn ansprach, stockte ihm das Herz.
    Sie wohnte im Hof nebenan. Erst folgte er ihr in einigem Abstand, dann gingen sie nebeneinander. Sie redete und lachte, er schwieg. Er hatte einen Kloß im Hals. Auf dem Heimweg von der Schule kauften sie Eis. Er konnte es nicht

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