In ewiger Nacht
seines Personals denken müssen. Die Kundentreffs und den Videoverkauf sollte jemand anders übernehmen. Das war der nervenaufreibendste Teil der Arbeit; dauernd glaubte er sich dabei verfolgt.
Vielleicht war er nur überlastet, und seine Wachsamkeit hatte sich zum Verfolgungswahn ausgewachsen.
Als Dessert bestellte Mark Karamellcreme. Er nahm das Minzeblatt von der mit Puderzucker bestreuten zarten, zitternden Pyramide, steckte es in den Mund und warf einen Blick auf ein Pärchen am Nebentisch. Nichts Auffälliges. Beide um die dreißig; eine stämmige falsche Blondine mit länglichem Gesicht in engen, perlen- und paillettenbestickten hellblauen Jeans und weißer Satinbluse, und ein kahlgeschorener, wohlgenährter, rundgesichtiger Mann in weiten Hosen aus weichem, beigem Flanell und einem weiten schwarzen Pullover. Sie waren kurz nach Mark ins Restaurant gekommen und hatten seinen Argwohn geweckt, weil er das Mädchen erkannte: Er hatte sie zwei Tage zuvor am Belorussischen Bahnhof gesehen; sie stand an einem Kiosk, als warte sie auf jemanden, und blätterte zerstreut in einem Hochglanzmagazin, ohne die Seiten anzusehen. Sie ließ ihre Blicke über die Passanten schweifen, verharrte bei Mark und schaute rasch wieder weg, als habe sie sich verbrannt. Dann spürte er erneut ihren Blick.
Heute war sie zwar anders gekleidet und frisiert, aber ihr Gesicht war sehr prägnant – herzförmige Nase und spitzes, vorgerecktes Kinn.
Mark trank einen Schluck Kaffee und bat um die Rechnung. Und bemerkte sofort die gespannte Aufmerksamkeit am Nebentisch. Ja, das Pärchen war weit mehr mit ihm beschäftigt als miteinander. Auch die beiden baten um die Rechnung.
»Was wollt ihr von mir, Freunde?«, fragte Mark, als die Serviererin gegangen war.
Die beiden schauten sich an. Der junge Mann runzelte die Stirn.
»Sie verfolgen mich seit zwei Tagen, junge Dame. Gefalle ich Ihnen so sehr?«
Das Mädchen maß Mark mit einem gleichgültigen Blick und schwieg.
Der junge Mann sah ihn nicht einmal an und griff nach seinem Telefon, das auf dem Tisch leise summte und vibrierte.
»Ja. Verstanden«, murmelte er in den Apparat. »Ja, selbstverständlich.«
Seine Begleiterin zündete sich gelassen eine Zigarette an, als hätte sie Mark vergessen.
Die Rechnung kam. Mark legte einen Geldschein in die Mappe und ging hinaus, ohne auf das Wechselgeld zu warten. Es hatte sich stark abgekühlt. Er rannte die Straße entlang zur Hauptstraße und hob den Arm. Ein grüner VW hielt an. Verdächtig schnell, als habe er auf ihn gewartet. Und genau in diesem Augenblick bog das Pärchen um die Ecke.
»Wohin soll’s gehen?«, fragte der Fahrer.
Seine Visage kam Mark verdächtig vor. Ein quadratischer Gorilla mit Knopfnase und ohne Augen und Hals. Der faltete einen zusammen, ehe man piep sagen konnte, mit einem Messer oder einem Schlag auf den Kopf.
Das Pärchen kam langsam näher. Ohne weiter zu überlegen, rannte Mark los. Der Gorilla im Wagen hupte. Klar, der gehörte zu den beiden.
Mark kannte sich in dem Viertel aus und überlegte sich eine ungefährliche Route. In die nächste Gasse, dann über einen Durchgangshof in eine weitere Gasse, von dort zumProspekt und in die Metro. Um ihn einzuholen, musste der VW wenden und in verkehrter Richtung durch die Einbahnstraße fahren. Das Mädchen konnte mit den hohen Absätzen bestimmt nicht schnell laufen. Blieb nur der junge Mann. Er folgte Mark auch gewissenhaft bis zur Ecke, dann blieb er stehen und schaute verwirrt ins Dunkel.
An diesem Abend war Mark der Verfolgung entkommen. Als er aus der Metro stieg, schlug er noch ein paar Stunden lang Haken durch verschiedene Nebenstraßen und Höfe, und erst als er sicher war, dass kein Verdächtiger in der Nähe war, ging er in sein Haus und in seine Wohnung.
Es war eine seiner drei Mietwohnungen. In dieser lebte er. Außerdem gab es noch das Studio, wo er seine alternativen Filme drehte, und das »Hotel«, in dem sich Kunden ohne eigene Räume für intime Vergnügungen mit den Jungen und Mädchen trafen.
Am nächsten Tag wiederholte sich das Ganze. Auf der Straße, vor der Metro. Wieder entkam er, musste aber den Termin mit dem Kunden sausenlassen. Am Abend entdeckte er die falsche Blondine mit der Herzchennase im Supermarkt in der Nähe seines Hauses. Er verschwand auf verschlungenen Wegen, mit dem Taxi, dann mit der Metro, fuhr den ganzen Sadowoje-Ring ab, und erst als er sie wirklich abgehängt hatte, kehrte er nach Hause zurück.
Nun hatte er keine
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