In ewiger Nacht
Knacker da gewesen.«
Ein leichter Schatten huschte über das frische, hübsche Gesicht, die Mundwinkel zuckten, die Lider bebten kurz.Entweder war Marina erschrocken oder plötzlich nervös geworden, oder sie versuchte nur, die Tränen zurückzuhalten. Sie schüttelte energisch den Kopf, hatte sich sofort wieder im Griff und sprach ganz ruhig.
»Ach ja! Ein Italiener. So um die sechzig. Aber kein Wort zu Valeri.« Sie presste den Finger auf die Lippen. »Ich hab ihr versprochen, ihm nichts zu erzählen.«
»Von dem Italiener?«, fragte Solowjow.
»Aber nein! Der Italiener war in Ordnung, sogar sehr nett. Ein Professor, Historiker, beschäftigt sich mit dem alten Rom. Nein, vom ›Non-Stop‹ sollte ich nichts erzählen und von Vaselin. Valeri hat was dagegen, dass sie sich in Nachtklubs rumtreibt, und mit Vaselin ist er verfeindet.«
»In welchem Verhältnis stand Shenja zu dem Professor?«
Marina schnäuzte sich in ein Papiertaschentuch. Ihre Nasenspitze war gerötet. Aber ihre Augen blieben klar und trocken.
»Fragen Sie mich was Leichteres. Ich habe die beiden nur einmal zusammen gesehen, höchstens zehn Minuten. Und das in einem Nachtklub, bei Schummerbeleuchtung und lauter Musik. Er spricht kein Wort Russisch, nur Englisch. Er heißt Nicolo, wie weiter, hat er nicht gesagt. Ich hab Shenja danach auf der Toilette getroffen, und sie hat erzählt, er sei der Vater einer Freundin von ihr, einer Italienerin, die sie letzten Sommer auf ihrer Englandreise kennengelernt hätte. Und dann bat sie mich, Valeri nicht zu erzählen, dass ich sie im Klub getroffen habe.«
Unten klappte eine Tür, und ein Kind weinte. Marina sprang auf und rannte zur Treppe.
»Mein Sonnenschein ist wieder da! Aber warum weinst du denn? Mein Süßer, sei wieder lieb, komm zu deiner Mama, gleich gibt’s was zu essen. Herrgott, Vera, er ist ja ganz nass!«
Das Weinen verstummte. Erneut klingelte das Festnetztelefon. Katschalow kam ins Zimmer. Blass, dunkle Ringe unter den Augen, schlurfte er unsicher zum Sofa, ließ sichdarauf fallen und schloss die Augen. Der Produzent rannte zu ihm.
»Was ist, Valeri? Hier, trink einen Schluck Wasser. Oder lieber einen starken Kaffee?«
»Nicht nötig.« Er nahm das Glas und verschüttete auf dem Weg zum Mund die Hälfte, so heftig zitterten seine Hände. Er trank einen Schluck, sah Solowjow an und sagte klar und deutlich, wie ein Automat: »Entschuldigen Sie, dass ich Sie habe warten lassen. Ich bin jetzt bereit, Ihre Fragen zu beantworten.«
»Haben Sie Shenja Geld gegeben?«
»Natürlich. Sie ist doch meine Tochter. Warum fragen Sie?«
»Wir haben bei ihr zu Hause in mehreren Verstecken zwanzigtausend Euro gefunden.«
»Zwanzigtausend Euro?« Katschalow runzelte die Stirn. »Und was hat Shenja damit zu tun?«
»Wir haben das Geld bei ihr gefunden. In einem Plüschteddy, hinter dem Rahmen mit Ihrem Foto, unter der Innensohle ihrer Skates und in der Hose einer alten Puppe.«
»Dieses Aas!«
Das war Marina. Sie war lautlos wieder heraufgekommen und stand an der Treppe, gegen die Wand gelehnt.
»Was?!«, rief Katschalow. »Wie kannst du es wagen, so von meiner Tochter zu reden?!«
»Ich rede nicht von Shenja, ich rede von Nina. Das Aas hat die ganze Zeit die mittellose Verlassene gespielt.«
»Sie meinen, das Geld gehöre Nina?«, fragte Solowjow.
»Wem denn sonst?« Katschalow lachte nervös. »Sie sind doch ein vernünftiger, erwachsener Mann. Woher sollte ein Kind von gerade mal fünfzehn Jahren so viel Geld haben? Klar hab ich ihr was zugesteckt, mal hundert, mal zweihundert Dollar im Monat. Und mit dem Clip hat sie anderthalbtausend verdient. Sagen Sie, hat Nina wirklich behauptet, das Geld gehöre Shenja?«
»Nein.« Solowjow seufzte. »Nina sagt, es sei ihr Geld.«
»Wenigstens so weit hat ihr Anstand gereicht«, knurrte Marina.
»Wussten Sie, dass Shenja schwanger war?«, fragte Solowjow.
Auf einmal herrschte lastende Stille. Katschalow sah Solowjow eine Weile stumpf an und begann plötzlich leise zu lachen.
»Na also, damit ist alles geklärt.« Er griff nach dem Wasserglas und leerte es. Seine Hände zitterten nicht mehr. »Ich wusste gleich, dass das Ganze ein Irrtum ist. Es ist ein anderes Mädchen. Shenja ist vor einer Woche fünfzehn geworden. Aber von ihrer körperlichen Entwicklung her ist sie nicht älter als elf oder zwölf. Sie ist noch nicht einmal eine Halbwüchsige, sie ist noch ein Kind. Wie kann ein Kind schwanger sein? Wie?«
Neuntes Kapitel
Während der
Weitere Kostenlose Bücher