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In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Strickmütze und einen Schal.
    Mit der Kleidertüte unterm Arm streifte er eine Weile ziellos umher und redete sich zu, nicht panisch zu werden. Es war doch gar nicht gesagt, dass ihm im Augenblick jemand folgte. Vielleicht hatte er sich das alles nur eingebildet.
    Nach anderthalb Stunden verschwand er in einem Friseursalon. Während ein schweigsames Mädchen ihn bediente, schaute er immer wieder zum Fenster.
    Glattrasiert und kahlgeschoren, fragte er das mürrische Mädchen nach der Toilette. Er glaubte, draußen jemanden stehen zu sehen. Es wurde schon dunkel, deshalb konnte er die Gestalt nicht genau erkennen. Er lief zur Toilette und zog sich um, wobei seine Hände heftig zitterten.
    Draußen war ihm ungewohnt kalt an Wangen und Kopf. Er setzte die Mütze auf und wickelte den Schal um. Die billige Wolle-Synthetik-Mischung kratzte unangenehm auf der rasierten Haut. Die langen Haare, die er normalerweise zu einem Pferdeschwanz band, sowie Bart und Schnurrbart hatte er im Frisiersalon gelassen, seine Kleider in die Plastiktüte gesteckt und in den nächsten Papierkorb geworfen. Wieder lief er kreuz und quer durch die Stadt, um seine Verfolger zu verwirren. Zu Fuß erreichte er den Kulturpark und sah sich dauernd um, konnte aber nicht ausmachen, ob er sie abgehängt hatte oder nicht. Er kaufte eine Eintrittskarte und ging in den Vergnügungspark. Wegen der Kälte war er ziemlich leer. Die meisten Fahrgeschäfte standen noch still, doch das Riesenrad drehte sich gemächlich.
    Mark war erschöpft. Er war seit mehreren Stunden auf den Beinen und hatte zuvor zwei Nächte nicht geschlafen. Die Riesenradgondel erschien ihm als sicherer Ort für eine Verschnaufpause. Und von oben konnte er gut sehen, ob unten jemand auf ihn wartete.
    »In zwanzig Minuten machen wir Schluss«, sagte das Mädchen an der Kasse.
    In der Gondel fühlte er sich zum ersten Mal seit zwei Tagen sicher. Das Riesenrad kroch langsam hinauf, die Gondel schwankte und quietschte anheimelnd. Er döste ein und hörte im Halbschlaf, dass das Riesenrad gleich abgeschaltet werden sollte. Er schaute hinunter – in der Nähe der Kasse standen ein Mann und eine Frau. Ob es die bewussten beiden waren, konnte er nicht erkennen, aber sein Magen zog sich vor Angst zusammen, und bei der letzten Umdrehung, als die Gondel unten war, setzte er sich auf den Boden, um nicht gesehen zu werden.
    Das Riesenrad drehte noch eine halbe Runde, ruckte ein paarmal und blieb stehen. Seine Gondel hing ganz oben. Er zog die Mütze über die Ohren und steckte die Hände in die Jackenärmel. Zusammen mit dem Riesenrad schien auch die Zeit stehengeblieben. Es war still und dunkel. Weit unten blinkten bunte Lichter und lärmte dumpf die nächtliche Stadt.
    »Nur keine Panik«, sagte er laut und erschrak vor der eigenen Stimme – so einsam klang sie.
    An diese Nacht dachte er lieber nicht zurück. Er hatte mehrmals versucht, aus der Gondel zu steigen und an den Sprossen des Riesenrades hinunterzuklettern, aber ihm wurde schwindlig, und sein Herz pochte dumpf. Es kostete ihn gewaltige Anstrengung, sich zu beruhigen und den Morgen abzuwarten. Selbst wenn er es schaffte, hinunterzuklettern, hätte er nicht gewusst, wie weiter und wohin.
    Als das Riesenrad am nächsten Morgen wieder anlief und Mark herausgeholt wurde, musste er sich nicht einmal besonders verstellen. Er wurde behandelt wie ein echter Irrer. Im Krankenwagen wickelten ihn die Sanitäter in eine Decke und gaben ihm heißen Tee aus einer Thermoskanne.
    Während er untersucht, in der hässlichen Krankenhausdusche gewaschen und in einen Klinikpyjama gesteckt wurde, schwieg er. Später schlang er gierig einen Teller Graupensuppe hinunter. Im Krankenzimmer rollte er sich in seinemBett unter zwei Decken zusammen und schlief wie ein Toter den ganzen Tag durch. In der Nacht wurde er von Schlaflosigkeit geplagt.
    Im Morgengrauen überlegte er plötzlich, dass es nicht unbedingt Konkurrenten sein mussten, die ihn verfolgten. Womöglich hatte eines der Kinder auf eigene Faust gehandelt, die Kleinen waren nicht dumm. Sie waren gerissen und geldgierig. Vielleicht hatte sich jemand nebenbei was dazuverdienen wollen, sich einen Klienten geangelt und erpresste ihn nun.
    Mark bekam Schüttelfrost.
    Sein Computer enthielt auch die Telefonnummern der Kunden und ihre Pseudonyme. Anhand der Telefonnummern ließen sich mühelos ihre richtigen Namen herausfinden, manchmal auch die Adresse und sogar ihre Arbeitsstelle.
    Einige waren natürlich so

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