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In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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erzählen, was ihm widerfahren war, warum er am späten Abend auf einer Bank im kalten, menschenleeren Park gesessen und so heftige Herzschmerzen bekommen hatte. Nicht einmal mit Nadja, wenn sie noch am Leben wäre, hätte er dieses Geheimnis teilen können. Dabei hatte er ihr immer alles erzählt.
    »Ist jemand bei Ihnen zu Hause?«, fragte die Frau vor seiner Haustür.
    »Ja, natürlich«, schwindelte er. »Ich danke Ihnen.«
    »Gern geschehen.« Sie nickte und lächelte.
    Im stillen Hof ertönte plötzlich Glockengeläut. Die Frau seufzte und zog ein Telefon aus der Handtasche.
    »Ich komme schon, bin gleich da, schrei nicht so! Du bist doch kein kleines Kind! Kannst du es dir nicht selber warmmachen? Steht alles im Kühlschrank, tu’s in eine Pfanne und stell’s auf den Herd.«
    Sie nickte Rodezki noch einmal zu und ging rasch davon, noch immer ins Telefon sprechend. Er bedauerte, dass er sie nicht nach ihrem Namen gefragt hatte.

Zweites Kapitel
    Der Zeuge Oleg Krasnoschtschokow war erstaunlich ruhig. Kaum zu glauben, dass er wirklich vor einer halben Stunde im Wald auf eine Leiche gestoßen war. Er hatte sie nicht nur gesehen, er war im Dunkeln ausgerutscht und direkt daraufgefallen. Er hatte etwas Kaltes, Glitschiges unter der Hand gespürt, es mit dem Feuerzeug angeleuchtet und da erst entdeckt, dass es ein totes Mädchen war.
    Während er seine Aussage machte, zitterten ihm nur ein wenig die Hände.
    »Ich hab gehalten, weil ich pinkeln musste. Na, und Kusja ist auch mit raus. Er ist eigentlich sehr folgsam und ruhig, aber plötzlich rastete er total aus. Er rannte los in den Wald, bellte und heulte. Ich rief ihn, aber er kam nicht zurück. Ich hörte ihn ganz in der Nähe wie verrückt bellen. Gut, dass ich eine Taschenlampe im Auto habe. Ich bin also Kusja nach, durch den ganzen Dreck und Schneematsch. Dabei bin ich ausgerutscht und direkt auf sie draufgefallen, stellen Sie sich das vor! Ein Wunder, dass ich keinen Herzschlag gekriegt hab. Aber mein Kusja, der Dummkopf, hat gar nicht sie gewittert, er hat bloß einer Krähe nachgebellt. Alberner Jagdinstinkt!«
    Er sprach leise und langsam. Seine Freundin dagegen war vollkommen hysterisch. Als die Einsatzgruppe ankam, hatte sie geschrien und geheult und später im Notarztwagen leise vor sich hin gejammert: »O Gott, o Gott, o Gott!«
    Sie hatte eine Beruhigungsspritze bekommen.
    »Nein, ich habe nichts angefasst, ich hab natürlich gleich die 02 angerufen. Aber ich bin im Dunkeln auf sie draufgefallen. Vielleicht hab ich dabei irgendwelche Spuren verwischt.« Der Zeuge zündete sich erneut eine Zigarette an. »Verdammt, sie war noch ganz jung, ein Kind, höchstens zwölf! Sie wird mir für den Rest meines Lebens im Traum erscheinen.«
    In den siebzehn Jahren bei der Kriminalmiliz war Dmitri Solowjow bisher nur viermal mit Kinderleichen konfrontiert gewesen. Dies war die fünfte. Der Fundort war ein Waldrand an der Pjatnizkoje-Chaussee, zwanzig Kilometer entfernt vom Moskauer Stadtring. Die Tote war ein Mädchen, zwölf bis vierzehn Jahre alt. Sie hatte langes dunkles Haar. Der Körper war nackt. Ihre Kleider – Jeans, Stiefel, Pullover und Jacke – waren im Umkreis von zwei Metern um den Fundort verstreut. Mutmaßliche Todesursache: mechanische Asphyxie durch Erwürgen. Bei der ersten Untersuchung wurden außer den Würgemalen am Hals keinerlei Anzeichen für sonstige Verletzungen festgestellt.
    »Aber ich glaube, die Position war irgendwie anders. Ich glaube, sie hat gesessen, an einen Baumstamm gelehnt. Sie ist umgekippt, als ich auf sie drauffiel. Ein Wunder, dass ich keinen Herzschlag gekriegt hab. Da war was Kaltes, Glitschiges unter meinen Händen, und es hat sich irgendwie bewegt, stellen Sie sich das vor! Und dann dieser Geruch, so komisch süß. Wie Bonbons oder Kaugummi, in der Art.« Der junge Mann verzog das Gesicht und betrachtete seine Hände.
    »Öl«, sagte seine Freundin. »Körperöl. Deine Hände riechen immer noch danach, und auf deinem Pullover sind Fettflecke.«
    Die junge Frau war unbemerkt herangetreten und stand nun neben ihm. Sie hatte sich fast beruhigt, sie zitterte nur vor Kälte.
    »Wie kommen Sie darauf?«, fragte Solowjow.
    »Dazu braucht man nicht viel Grips.« Das Mädchen zündete sich eine Zigarette an. »Liegt doch auf der Hand. Psychopathist Psychopath. Die denken sich doch immer irgendwas Originelles aus. Für die ist Mord eine Art Performance. Ein schöpferischer Akt. Ein Kunstwerk, verdammt. Wieso – haben Sie

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