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In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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sie begnügten sich nicht mit Fleisch allein, nein, das reichte ihnen nicht. Wie jede Ausgeburt der Hölle fraßen sie Seelen.
    Der Mythos von der tierischen Abstammung des Menschen hat mit den Hominiden zu tun. Sie und der Homo sapiens haben ganz verschiedene Wurzeln. Die menschenähnlichen Wesen sind Geschöpfe des Teufels. Sie entstanden zur gleichen Zeit wie die Menschen, als teuflische Alternative zum vernunftbegabten, geistigen Menschen.
    Der kräftige große Mann in der dunklen Jacke stand auf der Krimbrücke, beugte sich über das Geländer und sah seiner Zigarettenasche nach. Das Wasser war genauso grau und trübe wie die Asche. Nach einer langen Tauwetterperiode herrschte nun erneut Frost, doch der Fluss war ohne Eiskruste.
    Die Zigarette war bis zum Filter heruntergebrannt. Er warf die Kippe in den Fluss, beugte sich noch tiefer hinunter undbeobachtete, wie das Glutfünkchen in der schwarzen Tiefe langsam erlosch. Der gierige schwarze Abgrund schaute direkt in seine Seele und flüsterte: He, was hast du denn? Hab keine Angst!
    »Ich war halbnackt, ja, schließlich muss ich die Klamotten ja anprobieren. Und da zieht der Typ den Vorhang auf, starrt mich an und meint: Oh, pardon, ich dachte, hier wäre frei. Eine glatte Lüge! Ich weiß Bescheid, der macht das mit Absicht! Immer, wenn ein Mädchen in eine Kabine geht, zieht der Kerl den Vorhang auf, von wegen: Oh, pardon! Verschafft sich ne kostenlose Peepshow, der Arsch!«
    Die Stimme klang so nahe, so durchdringend, dass der Wanderer beinahe von der Brücke gestürzt wäre.
    »Ach, Scheiße, meine Kippen sind alle!«
    »He, Sie, haben Sie mal ne Zigarette?«
    Zwei etwa vierzehnjährige Mädchen sahen den Wanderer an und klapperten mit den dick geschminkten Lidern. Im Licht der Straßenlaterne funkelten Piercingringe, bei der einen in der Augenbraue, bei der anderen in der Nase. Die glänzenden, geschminkten Lippen der beiden lächelten. Trotz der Kälte trugen die Mädchen enge Miniröcke, die tief unter der Taille saßen, und extrem kurze Jacken, die ihre flachen Bäuche entblößten. Die eine hatte einen Metallstift mit einer glänzenden Kugel im Nabel, die andere ein Tattoo, eine farbige Rose. Beide hatten lange, schlanke Beine, die in Netzstrumpfhosen und Lackstiefeln mit sehr hohen Absätzen steckten.
    »He, Sie!« Eines der Mädchen wedelte vor seinen Augen mit der Hand. »Haben Sie vielleicht eine Zigarette? Sind Sie taub, oder was?«
    Er konnte nicht antworten. Er sah sie an, ohne zu blinzeln. Sie lachten und gingen weiter.
    Durch das heisere Lachen, den Gestank nach Alkohol und billigem Parfüm, durch die Leiber der jungen Hominidinnen hindurch hörte er deutlich leises Weinen. Es waren die Engel, die da weinten, sie waren schon sehr schwach, aber noch am Leben.Er sah sie aus den dick umrandeten Augen dieser beiden unglücklichen, verlorenen Geschöpfe blicken, sie schauten ihn durch die geschminkten Wimpern hindurch an wie durch Gefängnisgitter: Hilf uns, rette uns! Wer, wenn nicht du?
    Die Mädchen liefen laut lachend weiter über die Brücke. Ihm wurde heiß. Seine Hände waren schweißnass, sein Mund war trocken. Er folgte den Mädchen, erst langsam, dann immer schneller. Er wusste, dass er das nicht tun sollte, mit zweien würde er nicht fertig werden.
    Eines der Mädchen drehte sich um, sah, dass er ihnen folgte, sagte etwas zu ihrer Freundin, und die beiden rannten los. Sie kamen nicht sehr schnell voran, dazu waren ihre Absätze zu hoch und zu schmal. Er hätte sie mühelos einholen können. Aber nur ein Verrückter würde sie hier mitten im Zentrum verfolgen. Der Wanderer aber handelte stets überlegt.
    Er blieb stehen, atmete durch und ging dann in die entgegengesetzte Richtung, weil ihm einfiel, dass er dort sein Auto geparkt hatte.
     
    Der unbekannte Patient, der Karussellfahrer, lag mit offenen Augen im Bett. Draußen vorm Fenster schaukelte eine Lampe hin und her. Der Schatten des Fenstergitters kroch langsam über die Decken und die Gesichter der Patienten. Einer murmelte im Schlaf vor sich hin, einer wälzte sich herum, und das Quietschen der panzerharten Matratze hallte im Kopf wider wie das Knirschen von Sand zwischen den Zähnen.
    Irgendwo weit weg klingelte ein Telefon. Der Karussellfahrer geriet in Panik. Vielleicht galt der Anruf ihm? Er wusste, dass das unlogisch war, dennoch brach ihm vor Angst der Schweiß aus.
    Das Klingeln hörte auf. Endlich hatte jemand abgenommen. Nach einer Weile näherten sich im Flur Schritte. Der

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