Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
Vom Netzwerk:
würden.
    Alter, Krankheit und Tod – das alltägliche, unpersönliche Böse. Gegen das man nicht kämpfen konnte. Psychopathen dagegen waren das außergewöhnliche, konkrete Böse. Dagegen konnte man ermitteln und es unterbinden.
    Als Moloch aufgetaucht war, hatte Olga sofort an den Würger von Dawydowo Anatoli Pjanych gedacht und nach Material zu dem alten Fall gesucht. Was immer die anderen meinten – sie sah eine offenkundige Übereinstimmung zwischen seinem
modus operandi
und dem von Moloch. In den Archiven des Instituts fand sich nur eine Kopie des offiziellen Gutachtens der Kommission.
    »Weißt du nicht mehr? Sämtliche Materialien kamen zu den Ermittlungsakten und wurden der Staatsanwaltschaft übergeben«, sagte Guschtschenko. »Aber was willst eigentlich du damit?«
    Olga war auf eine Zeitungsnotiz über einen Brand im Heim für Blinde und Sehschwache in Dawydowo gestoßen – im Novemer 1986, also genau zu der Zeit, als Pjanych Selbstmord begangen hatte. Bei dem Feuer waren drei Kinder, zwei Erzieherinnen und eine Lehrerin umgekommen. Im Krankenhaus starben später noch eine Pflegerin und ein Pförtner. Als Ursache für die Tragödie galt offiziell ein defektes Stromkabel.
    Normalerweise wurden bei Kapitalverbrechen Unmengen von Zeugenaussagen gesammelt, die alle registriert und aufbewahrt werden mussten. Doch im Fall Pjanych war alles spurlos verschwunden.
    Auch Solowjow war erstaunt, als Olga ihn bat, eine Anfrage an das Informationszentrum des Innenministeriums zu richten. Und erkundigte sich: »Was willst du eigentlich damit?«
    Wenn sie ehrlich war, wusste sie es selbst nicht recht.
    »Der
modus operandi
ist wirklich ähnlich«, sagte Solowjow, »aber das war trotzdem nicht Moloch. Du weißt doch, der Mörder hat sich in der Zelle erhängt. Oder glaubst du, Pjanych war gar nicht der Mörder?«
    »Ja, das glaube ich«, bekannte Olga. »Noch immer, wie schon damals.«
    »Na schön, aber sprich darüber mit niemandem außer mir, ja? Ich kriege so schon dauernd zu hören, dass du phantasierst.«
    Sie griff zum Telefonhörer, wählte Solowjows Dienstnummer und lauschte lange dem Freizeichen. Sie wollte seine Handynummer wählen, doch es klopfte an der Tür, und gleich darauf strömte eine Schar Studenten im Praktikum herein.
     
    Die Sitzung beim stellvertretenden Minister verlief recht träge. Solowjow äußerte seine Hypothese, dass es sich bei dem Mord um die Fortsetzung einer Serie handele, die vor zwei Jahren begonnen habe. Die drei nicht identifizierten Jugendlichen und Shenja Katschalowa seien höchstwahrscheinlich vom selben Täter getötet worden. Darauf deuteten viele Übereinstimmungen: der Ort, ein Waldstreifen an der Landstraße, rund zwanzig Kilometer vom Stadtring entfernt; die Tötungsart, das Alter der Opfer. Das Fehlen von Hinweisen auf eine Vergewaltigung. Der Mörder hatte seine Opfer mit einem Schlag auf den Hinterkopf betäubt, sie erwürgt und ausgezogen und die Leichen anschließend mit Babyöl übergossen. Solowjow empfahl, sich die vom Team um Professor Guschtschenko damals erstellten Täterprofile noch einmal anzusehen. Vermutlich deckten sie sich vollkommen mit dem aktuellen Fall.
    »Aber es gab damals mindestens fünf Profile, alle ganz verschieden«, erinnerte der stellvertretende Minister. »Was ist Ihre Meinung, Professor?«
    Guschtschenko saß bescheiden in einer Ecke, die Beine übereinandergeschlagen, und kritzelte konzentriert etwas in den Notizblock auf seinen Knien. Solowjow bemerkte ihn erst jetzt, und ihm fielen Olgas Worte wieder ein: Guschtschenko ist bald sechzig, aber er sprüht vor Intellekt und Energie.
    Der Professor sah gut aus. Breite Schultern, nach hinten und zur Seite gekämmtes dichtes dunkelblondes Haar mit attraktiven grauen Strähnen, glatte, fliehende Stirn, glanzlose kleine graue Augen, große, etwas stumpfe Nase, schmaler, beweglicher Mund. Ein verlässlicher, ruhiger, selbstbewusster Mann. Ein Typ, bei dem Frauen den Kopf verloren.Solowjow war sogar einmal eifersüchtig auf ihn gewesen, zumal der Professor Junggeselle war.
    »Wir sollten keine voreiligen Schlüsse ziehen«, sagte Guschtschenko und riss sich von seinem Notizblock los. »Es könnte ein Nachahmungstäter sein. Und was die Profile angeht – wir hatten tatsächlich viele. Ich denke, wir sollten die Fehler der Vergangenheit nicht wiederholen. Einige Mitglieder meines Teams sind damals ihren Phantasien aufgesessen.«
    »Allerdings, besonders Doktor Filippowa«, knurrte Solowjows

Weitere Kostenlose Bücher