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In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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für sie. Das konnte sie nicht. Er könnte es wahrscheinlich. Wenn er ehrlich war, wäre ihm alles recht, Hauptsache, er könnte sie ab und zu sehen.
     
    Sie hatten gleich nach der zehnten Klasse heiraten wollen. Die Eltern, seine und ihre, hielten das für eine Dummheit. Für Dimas Mutter war Olga eine Egoistin und zu intellektuell. Sie wünschte sich für ihren Sohn etwas Einfacheres, eine ganz normale Ehefrau, die keine Bücher las, sondern ihm die Wäsche wusch und Essen kochte. Olgas Mutter behauptete, sie habe nichts gegen Dima Solowjow, er sei ein lieber Junge, aber mit siebzehn zu heiraten sei zu früh. Sie sollten erst einen Beruf haben und eine materielle Grundlage.
    Eine Grundlage besaßen sie in der Tat nicht, jedenfalls keine materielle, nur ihre Liebe. Die Eltern erklärten, Liebe sei vor allem Verantwortung. Dima und Olga hätten die Meinung ihrer Eltern gern ignoriert, aber sie waren beide noch vollkommen von ihnen abhängig. Zusammen bei den Eltern zu leben war ausgeschlossen, dazu waren die kleinen, übrigens identischen Zweizimmerwohnungen viel zu klein.
    Dima entlud nachts Güterwaggons, um Geld für eine eigene Behausung zu verdienen. Doch nach den Nachtschichten schlief er bei den Vorlesungen ein und wäre beinahe durch die Prüfungen gefallen, und was er verdiente, war lächerlich wenig. Die Sache endete damit, dass ein betrunkener Kollege eine Kiste mit Fleischkonserven auf Dimas Arm fallen ließ. Ein komplizierter Bruch, mehrere Knochen waren gesplittert und wuchsen lange nicht richtig zusammen.
    Danach suchte sich Dima eine Stelle als Hauswart, da stand ihm nämlich eine Unterkunft zu. Ein halbes Jahr lang wohnten sie in einer Gemeinschaftswohnung im Souterrain und gingen zum Duschen zu ihren Eltern. Doch dann sollte das Haus abgerissen werden, und sie mussten das Zimmer gleich nach Neujahr räumen.
    Wo sie nun leben sollten, wussten Dima und Olga nicht. Beide waren erschöpft von ihrer Unbehaustheit, von den unschönen Auseinandersetzungen mit den Eltern. Sie empfanden eine dumpfe Gereiztheit und Kränkung, nicht gegeneinander, nicht einmal gegenüber den Eltern, sondern gegenüber dem Schicksal, das ihnen keine Chance gab, kein Dach über dem Kopf.
    Da hatte das Schicksal gleichsam ein Einsehen.
    Am 31. Dezember feierten sie in ihrem Hauswartquartier Silvester.
    Jeder, der wollte, konnte kommen, Kommilitonen, ehemalige Mitschüler, Freunde aus der Kindheit. Das Haus stand auf einem großen, weitläufigen alten Hof mit vielen Durchgängen und einem Durcheinander von Hausnummern.
    Alexander Filippow war zu einer Feier in einem Nachbarhaus eingeladen. Zwei Stunden vor Neujahr irrte er mit einem vom Schnee aufgeweichten Zettel mit der Adresse durch den Hof. Aus den Souterrainfenstern des Hauswartzimmers drangen Musik und Lachen, und Filippow klopfte an. Dima versuchte gerade, in dem schrottreifen Backofen eine Gans mit Äpfeln zu braten. Olga, in einem leichtenKleid und Pantoffeln, lief hinaus zu dem verzweifelten, durchgefrorenen Unbekannten und brachte ihn zu dem gesuchten Hauseingang.
    Nach zwei Stunden, kurz vor zwölf, eine seiner beiden Flaschen Sekt noch in der Tasche, klopfte Filippow erneut ans Souterrainfenster und erklärte, er wolle sich erstens bedanken und zweitens sei es da drüben langweilig, hier dagegen viel lustiger.
    So lernten sie sich kennen. Filippow besaß eine winterfeste Datscha ganz in der Nähe von Moskau. Sie stand im Winter leer, und er war bereit, Olga und Dima bis Ende April dort unterzubringen, für eine symbolische Miete oder sogar kostenlos. Er und seine Eltern seien nämlich immer sehr unruhig, wenn das Haus unbeaufsichtigt war.
    Das kam wie gerufen! Filippow war sehr nett, still und »häuslich«, wie Olga es nannte. Auch Dima mochte ihn auf Anhieb. Er ahnte nicht, dass der liebe, dicke, tolpatschige, blasse rothaarige Historiker sich schon bei der ersten Begegnung in der Silvesternacht in Olga verliebt hatte.
    Außer der Datscha besaß Filippow noch einen uralten kleinen Shiguli. Und wer konnte dem Besitzer der Datscha einen Besuch dort verwehren?
    Das Blockhaus stand am Rand eines Kiefernwalds. Eine Veranda mit bunten Mosaikfenstern, eine Vortreppe mit knarrenden Stufen und geschnitztem Geländer, auf dem Dach ein Wetterhahn aus rostigem Blech, der Schnabel abgebrochen. In diesem Pfefferkuchenhäuschen hatte Solowjow vor einundzwanzig Jahren drei Monate verbracht, Januar, Februar und März, zusammen mit Olga, als sie »ein bisschen verheiratet«

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