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In ewiger Nacht

In ewiger Nacht

Titel: In ewiger Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polina Daschkowa
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Hässlichkeit.
    Bei der Durchsuchung wurde im Holzschuppen neben Pjanychs Haus eine Schatulle aus Birkenbast gefunden. Darin lagen in Zigarettenpapier eingewickelte Haarsträhnen, insgesamt fünf. Eine Brille mit durchsichtigem Plastikrahmen und dicken Lupengläsern, ein geflochtenes Perlenarmband, ein billiger silberner Ring mit einem Türkis, ein kleines Kreuz an einer zerrissenen Schnur. Diese Dinge hatten den getöteten Kindern gehört.
    Alle waren sehr erstaunt. Warum waren sie darauf nicht schon früher gekommen? Der Erste, der auf die psychische Abnormität des Sportlehrers hingewiesen hatte, war übrigens Guschtschenko gewesen. Er war nach dem vierten Leichenfund mit einer der Kommissionen vom Gesundheitsministerium im Heim gewesen.
    Die Frage, ob Pjanych die Kinder vergewaltigt hatte oder nicht, blieb ungeklärt. Offiziell hieß es, er habe es getan. Die Experten erklärten, die getöteten Kinder seien wiederholt missbraucht worden, lange vor ihrer Ermordung.
    Pjanych gestand – die Morde und die Vergewaltigungen.
    Olga gehörte zur Expertenkommission, sie hatte Pjanych gesehen und hielt es für einen großen Fehler, dass er für zurechnungsfähig erklärt und nach der Untersuchung ins Gefängnis gebracht wurde. Er litt an einer schweren reaktiven Depression. Ihm war alles gleichgültig. Er verweigerte das Essen und wurde über eine Magensonde ernährt.
    Noch bevor es zur Gerichtsverhandlung kam, erhängte sich Pjanych in seiner Zelle. Die Akte wurde geschlossen.
    Heute befand sich bei Dawydowo, dreißig Kilometer entfernt von Moskau, eine teure Sommerhaussiedlung mit kostspieligen Villen. Schöne Lage, direkt an der Moskwa, Kiefernwälder, ein sauberer See.
    Ich werde hinfahren, dachte Olga. Es ist ja nicht weit. Das Heim ist zwar abgebrannt, aber es leben noch Leute, die dort gearbeitet haben.
     
    Als Olga aus der Dusche kam, stieß sie mit der Krankenschwester Irina zusammen. Irina hielt Olgas Telefon in der Hand.
    »Hier, da hat ein Kind gerufen: Mama, geh ran!, ich hab gar nicht gleich kapiert, dass das Ihr Handy ist. Da kann man ja glatt durchdrehen. Ihre Tochter ist dran, ich hab ihr gesagt, dass Sie in der Dusche sind, aber sie meint, es ist wichtig.«
    »Mama, heute um sieben war Elternversammlung, du hast versprochen zu kommen! Und es ist überhaupt nichts zu essen im Haus!« Katjas Stimme zitterte vor Empörung.
    »Katja, meine Liebe, erstens, schrei nicht so. Die Versammlung habe ich wirklich vergessen. Ich hatte einen verrückten Tag.«
    »Bei dir ist jeder Tag verrückt. Du arbeitest schließlich in einem Irrenhaus!«
    »Was soll das? Schämst du dich nicht?«
    »Schon gut, entschuldige. Aber die Versammlung war wirklich wichtig. Andrej und ich standen da wie zwei Waisenkinder, alle Eltern waren da, nur unsere nicht.«
    »Hast du Papa angerufen? Er hätte doch auch hingehen können.«
    »Er hat Wissenschaftlichen Rat. Mama, Andrej hat eine Vier in der Mathearbeit. Und jetzt hat er Fieber, glaub ich. Ich kann das Thermometer nicht finden. Hör mal, wieso duschst du in der Klinik? Komm sofort nach Hause! Ich sterbe vor Hunger! Und Papa hat gesagt, er kommt nicht vor elf.«
    »Das Thermometer ist im Medizinschränkchen im Bad oder im Nachtschrank. Sieh bitte gleich mal nach.«
    Olga hörte ein verärgertes Schniefen, dann Poltern und Rascheln.
    »Was ist passiert, Katja?«
    »Nichts. Ein Bein von eurem Nachtschrank ist abgebrochen, dabei ist ein Haufen Papier rausgefallen. Oh, das ist ja Papas Aufsatz über rituelle Tötungen bei den alten Inkas! Den wollte ich schon lange lesen, aber er hat es nicht erlaubt. Ah, da ist das Thermometer.«
    »Prima. Und jetzt geh und miss bei Andrej Fieber. Und lies den Aufsatz bitte nicht, wenn Papa es nicht erlaubt hat.«
    Erneutes Schniefen, dann die Stimme ihres Sohnes. »Lass mich in Ruhe, ich schlafe.«
    Nach Olgas Weggang aus Guschtschenkos Team hatte sich ihre Familie daran gewöhnt, dass sie oft zu Hause war. Sieverdiente nur noch halb so viel Geld, hatte dafür aber mehr Zeit und Kraft für die Familie. Die Arbeit im Expertenteam war aus irgendwelchen speziellen Fonds gut bezahlt worden, ein normaler Arzt in einer staatlichen Klinik dagegen verdiente wenig, selbst mit Doktortitel und Habilitation.
    Ihr Mann hatte oft genug angedeutet, dass sie für das Geld, das sie seit anderthalb Jahren verdiente, ebenso gut zu Hause bleiben könnte. Sein eigenes Gehalt war zwar auch miserabel, aber er hatte Nebeneinkünfte durch Konsultationen, durch Vorlesungen zur

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