Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In Ewigkeit, Amen

In Ewigkeit, Amen

Titel: In Ewigkeit, Amen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Hanika
Vom Netzwerk:
rauen Mengen.
    »Ich will nicht an diesem Fall arbeiten«, sagte er dumpf und schaute dabei auf seine Hände. »Ich will mir keine Gedanken darüber machen, ob Großmutter Organisten ersticht.«
    »Großmutter ersticht keine Organisten«, erklärte ich ihm möglichst ruhig. Ich wollte ihm jetzt auf gar keinen Fall erzählen, wie das mit dem Mesner, seinem Penis und unserem Brotmesser gewesen war. Diese Geschichte war das einzige große Geheimnis zwischen uns. Na gut. Und die Geschichte, wie ich einmal fast Sex gehabt hatte. Aber das ist eine andere Sache. Jedenfalls befürchtete ich, dass dieser Teil meiner Vergangenheit unsere Beziehung etwas belasten würde. Man muss ja Offenheit in der Partnerschaft nicht total ausreizen.
    »Sie war am Tatort.«
    »Ich war auch am Tatort«, erwiderte ich gereizt.
    Er sah jetzt ziemlich außerirdisch drein. »Ich muss los«, seufzte er etwas resigniert.
    Ich ging hinter ihm her, da ich mich alleine bei der Orgel furchtbar gruselte. Das einzige Wort, das mir jetzt einfiel, war unflätig und nicht geeignet, es vor meiner Großmutter auszusprechen. Ich wurde auf der Treppe langsamer und schaute zum Fenster hinaus. Da war ich früher oft gestanden. Jetzt sah ich unten Max und Blomberg, wie sie ihre Köpfe zusammensteckten. Der Wind riss an ihren Haaren, während ich die alte staubige Luft einatmete.
    Vielleicht sogar die gleiche Luft wie damals vor zwölf Jahren. Wer wusste das schon genau. Damals, als ich noch die ehrenvolle Aufgabe hatte, dem Wanninger die Register der Orgel zu ziehen.
    Jedes Mal hoffte ich darauf, dass der Gottesdienst ausfiel oder der Wanninger krank war. Meist wartete ich so lange, bis der Wanninger wirklich oben bei der Orgel war. Denn noch gruseliger, als alleine durch die staubige Stille auf den ausgetretenen Holzstufen nach oben zu steigen, war es, den Wanninger im Nacken zu haben. Dieses leise Keuchen, während er sich hocharbeitete.
    Wenn er nicht hinter mir war, konnte ich auch bei dem Kirchenfenster stehen bleiben und von oben auf die Kirchgänger blicken. Der Anton Spreitzer, das war der Vater vom Schorsch, der kam immer ziemlich spät. Und dann konnte ich seine spärlichen Haare von oben sehen. Sie waren exakt parallel über seinen Kopf gelegt. Und wenn starker Wind ging, dann klappte diese Haarmatte ein wenig nach oben. Einmal, als die Windrichtung sehr günstig war, standen die Haare sogar senkrecht, was unglaublich komisch aussah. Der Wanninger fand das nicht. Er hatte ziemlich geschimpft, weil ich ein wenig zu spät dran war.
    Wieso ausgerechnet ich die Register ziehen sollte, wusste ich nicht mehr. Ich konnte nämlich nicht richtig Noten lesen. Und das war eine Grundvoraussetzung. Das sagte der Wanninger immer ganz wütend, wenn ich nicht rechtzeitig ein Register herausriss.
    »Schau halt hin, Mädl. Wenn ich da bin, dann stehst auf«, hatte er immer zornig gesagt und mit einem Bleistift einen wütenden Kringel über eine Fermate gemalt.
    Aber ich hatte keine Ahnung, wann er wo war, sondern reagierte nur auf seine zornigen Kopfbewegungen. Wenn er nach rechts zuckte, dann zog ich den Vierfuß raus. Und wenn er nach links zuckte, dann riss ich den Sechzehnfuß heraus. Nach links zucken war immer besonders blöd, denn ich durfte nicht auf die Pedale treten. Und meistens stieß ich mich wo an, was dann durch die ganze Kirche hallte.
    Ich glaube, es war so, dass sich keines der Kinder, die in dem Jahr Firmung hatten, freiwillig zum Wanninger an die Orgel setzen wollte. Mir jedoch war das lieber als die Sache mit dem Ministrieren, dem Glöckchenläuten und Weihrauchschwenken. Vielleicht hatte ich mir auch ausgerechnet, dass ich dann weniger Zeit in der Kirche wäre. Was aber überhaupt nicht stimmte. Denn in dem Jahr, das ich registerziehend auf der Orgel verbrachte, war ich bei jeder Messe dabei. Und wenn ich Pech hatte, auch bei jedem Requiem und jeder Taufe. Eigentlich war es überhaupt nicht notwendig, das mit dem Registerziehen, weil die Orgel so viele Register gar nicht hatte. Aber der Wanninger kam sich dann besser vor, wenn er huldvoll nicken konnte und ich hastig Knöpfe herausriss.
    Ich wurde durch ein ungeduldiges Räuspern aus meinen Gedanken gerissen. Unten an der Treppe hatte nämlich der Schorsch Posten bezogen, wahrscheinlich um zu kontrollieren, was ich machte. Er sagte nichts, als ich an ihm vorbeiging. Aber an seinem Blick merkte ich, dass er mich beobachtet hatte. Bei den Wilds wusste man schließlich nie. Kaum waren sie an einem

Weitere Kostenlose Bücher