In Ewigkeit, Amen
einfach Angst, dass ich ihm Kaffee über die Hose kippte.
Über das Üben vom Wanninger wusste ich eigentlich gar nicht so viel, denn beim Üben war ich ja nicht mit dabei. Weil, der Wanninger, würde der Schmalzl-Wirt sagen, der ist ein Hund, der kann das ganz allein mit dem Registerziehen. Da hätten sich die Rosenkranzweiberln bestimmt auch gefreut, dann hätte er nämlich langsamer spielen müssen, weil er sich auf das Registerziehen hätte konzentrieren müssen. Und jeder hätte besser mitsingen können und wichtige Töne länger aushalten.
»Und was war mit den Registern? Welche waren da gezogen?« Ich konnte mich nämlich genau erinnern. Der Pfarrer hatte nur den Kippschalter, mit dem man die Orgel ausschaltet, betätigt. Natürlich hatte er keine Register reingeschoben. Da hätte der Wanninger geschimpft. Alle Register wieder reinschieben, hatte er immer gesagt. Nach dem Spielen Orgel ausschalten und alle Register reinschieben. Und ich hatte mir immer gedacht, mach das doch selber. Wer ist denn hier der Organist?
»Welche Register?«, fragte Max mit ergebenem Tonfall.
»Diese braunen Knöpfe an der Orgel. Acht Fuß. Sechzehn Fuß. Holzgedackt. Posaunenklang. Sag mal. Das ist dir nicht irgendwie komisch vorgekommen? Welche Register gezogen waren und welche nicht?«
Er murmelte etwas davon, dass er keine Ahnung vom Orgelspielen hatte. Und natürlich hatte er die Orgel nicht mehr eingeschaltet, um die originale akustische Begleitsituation nachzustellen. Ich murmelte etwas davon, dass Männer bei der Kripo eigentlich nichts verloren hatten. Eine Frau hätte schon längst gemerkt, dass unsere Zitronenlimonadenflasche neben unsere Grünlilie in die Küche gehört. Ansonsten ist nämlich das Magnetfeld um unseren Esstisch gestört, Großmutter bekommt Gotteseingebungen und ich Gebärmutterkrämpfe.
Ich kippte den letzten Schluck Kaffee hinunter, dann stapfte ich voran in Richtung Kirche. Ignorierte sein Gemotter darüber, dass er viel zu tun hatte. Ich hatte viel zu lange gebraucht, um das mit den Registern zu verstehen. Eine ganze Nacht, um genau zu sein. Denn ich hatte wirklich schlecht geschlafen. Ich wollte dem armen Max gar nicht vorwerfen, dass er es nicht kapierte. Obwohl ich einfach nicht verstand, wieso er diesen Fall nicht dazu nutzte, um öfter einen katholischen Gottesdienst zu besuchen. Das würde seinem Verständnis für den Tod des Organisten bestimmt guttun. Außerdem hat das noch niemandem geschadet, hätte meine Großmutter gesagt und ihm bestimmt noch empfohlen, ein paar Runden Rosenkranzbeten dranzuhängen. Das war nämlich auch so etwas, was keinem schadete.
Der flotte Marsch durch das Dorf hatte Max’ schlechte Laune etwas verbessert. Das merkte man daran, dass er ständig deplatzierte Äußerungen machte.
Statt Gottesdiensten beizuwohnen, las Max anscheinend zu viel Süddeutsche Zeitung. Denn er zitierte ziemlich genüsslich, dass Gottesdienstbesuche in katholischen Kirchen nicht unbedingt gesundheitsfördernd waren. Feinstaub und so. Anscheinend entsprach das Weihrauchgeräuchere unserer Ministranten und das Kerzengekokel nicht gerade den Arbeitsplatzschutzbestimmungen.
»Es übersteigt die Grenzwerte um das Fünffache«, sagte er ernsthaft neben mir.
Männer waren einfach nicht ganz ernst zu nehmen.
»Der alte Pfarrer hatte einen Herzkasperl. Und keinen Lungenkrebs«, verbesserte ich ihn würdevoll. Es war ja nicht so, dass ich besonders häufig in die Kirche ging. Aber doch nicht, weil ich Angst vor dem klerikalen Feinstaub hatte!
»Ja. Erhöhte Feinstaubwerte erhöhen das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall«, erzählte er meinem Rücken, da ich es eiliger als er hatte, in die verräucherte Kirche zu kommen.
Die Lutherischen wieder. Keine Ahnung von Weihrauch, Orgelspielen und imposanten Messen. Ein richtiges Hochamt ohne Weihrauch. Hatte man so etwas schon gehört.
Wir gingen durch die staubige Stille hinauf zur Orgel. Ganz entfernt, als wäre es in einer anderen Welt, hörte man ein Auto fahren. An der Tür zur Orgelempore klebte noch die Polizeiplakette, dass der Zutritt untersagt war. Natürlich schon zerrissen. Bevor ich die Tür öffnete, holte ich einmal tief Luft. Jetzt nur nicht schwächein, der Wanninger war schon lange abtransportiert.
Das Knarzen meiner Schritte auf der hölzernen Orgelempore hallte durch die ganze Kirche. Ich legte meinen Schlüssel neben die Orgelbank – das Klirren hörte man bestimmt bis vorne an den Altar. Ich rollte die Abdeckung der
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