In Ewigkeit, Amen
hatten uns zitternd und frierend vor »unseren« Gräbern versammelt, und Großmutter schien neben mir immer kleiner und bleicher zu werden. Neben unserem Grab war die Stange, an dem die Gießkannen aufgehängt wurden. Sie schlenkerten wild im Wind und schlugen mit einem billig klingenden Geräusch aneinander.
»Wir gedenken unserer Toten«, sagte der Pfarrer. »Wir gedenken der Menschen, die im vergangenen Jahr aus unserer Pfarrei von uns gegangen sind.«
Während der Pfarrer alle aufzählte, die zu Gott gegangen waren, versuchte ich auf Durchzug zu schalten. Schließlich hatte ich einen guten Teil der Leute selbst tot aufgefunden.
»Und tragisch und viel zu früh aus unserer Mitte gerissen, der Josef Wanninger.« Der Pfarrer machte eine bedeutsame Pause. In der Gemeinde kam ein dumpfes Gebrummel auf, die Meinungen schienen zweigeteilt. Die einen fanden auch, dass es tragisch und viel zu früh war. Die anderen fanden das anscheinend nicht. Mein Blick huschte von einem zum nächsten, um zu sehen, ob jemand besonders verdächtig aussah. Am verdächtigsten sah meine Großmutter aus, deren Gesichtsausdruck mehr als zufrieden war. Nicht wegen dem Wanninger, sondern weil unser Grabstein schön geputzt war. Mein Blick schweifte weiter, um einen Vertreter der Polizei zu finden. Da sah man es wieder. Die Polizei. Der Schorsch, der faule Krippl. Wo er hier Beweise hätte sammeln können, dass es grad so krachte. Oder der Max. Nun, dem Max sei es verziehen, der hatte keinen Toten auf dem Friedhof. Aber der Schorsch. Der hatte ein Grab mit seinen Urgroßeltern und seinen Großeltern. Und ausgerechnet in diesem Jahr, wo es seine Pflicht war zu ermitteln, lag er wahrscheinlich am Kanapee. Auch die vom CIA waren nicht da. Wie wollten die diesen Fall lösen? Wenn die dachten, dass ich ihnen half, dann hatten sie sich geschnitten. Schließlich hatten sie noch immer unsere Weihwasserflasche.
Da war ich eisern. Solange wir die nicht wieder hatten, würde ich ihnen keinen einzigen Hinweis geben.
Ich seufzte laut auf, denn die Hinweise, die ich hätte geben können, waren etwas dürftig.
Großmutter brummelte neben mir die Litanei für die Verstorbenen. »Herr erbarme dich«, sagte sie mit einem zornigen Unterton. Vielleicht dachte sie auch gerade an unsere Weihwasserflasche. »Christus erbarme dich.«
»Gottvater im Himmel«, hörte man die Stimme von Anneliese durch den Lautsprecher.
»Erbarme dich unser.«
»Vater, Sohn, Erlöser der Welt«, sagte Anneliese. Mit Anneliese musste ich dringend über den Wanninger reden, fiel mir ein. Und am besten noch über den Troidl Xaver. Vielleicht konnte sie mir wertvolle Hinweise geben, ob er irgendeine psychische Störung hatte. Nun gut. Andererseits war es höchst unwahrscheinlich, dass jemand ohne psychische Störung in Bademantel und Badelatschen zum Schmalzl ging.
»Erbarme dich unser«, sagte Großmutter finster. Ihre gute Laune war verflogen, seitdem die Lautsprecher eingeschaltet worden waren.
Ich sagte nichts. Ich schielte vorsichtig zum Grab vom Pudschek. Da stand niemand. Ob dieses Jahr wieder irgendwelche unheimlichen Weiblein Steinchen auf das Grab geworfen hatten?
Inzwischen war der Pfarrer losgegangen, um die Gräber zu segnen. Ihm voran gingen Ministranten, von denen man als Erstes nur das Kreuz sah, das der vorderste trug. Das Nächste, was man sah, war der schwarze Umhang des Pfarrers. Jeder Windstoß fegte unter ihm hinweg und blähte ihn über die Köpfe der Ministranten, die hinter ihm gingen. Es sah geradezu makaber aus. Dazu die blecherne Stimme des Pfarrers aus den Lautsprechern. Der Lautsprecher neben uns hatte schon den Geist aufgegeben, und man hörte nur ein wildes Summen und metallisches Kreischen, als wäre der kollektive Tinnitus der Gemeinde hörbar gemacht worden. Die Gemeindemitglieder kämpften um ihre Schirme. Die ersten kalten Regentropfen schienen die Stimmung noch satanischer zu machen. Und das auf einem katholischen Friedhof.
Als der Pfarrer an unserem Grab vorbeikam und großzügig Weihwasser in unsere Richtung sprengte, sah er bereits aus wie eine verzweifelte Krähe, die den Anschluss an ihren Schwarm verpasst hat. Der Umhang war verrutscht, die Haare standen zerzaust in alle Richtungen ab, auf seiner Brille waren Wassertropfen zu sehen.
»Aus der Tiefe rufe ich, Herr zu dir, Herr, höre meine Stimme!«
»Wende dein Ohr mir zu, achte auf mein lautes Flehen!«, brummelte Großmutter dumpf und fügte dann laut hinzu: »Lautsprecher. Die
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