In Ewigkeit, Amen
neben der Kirche, wo Organisten umgebracht wurden.
Ich gruselte mich schon wieder. Wenn man sich vorstellte, wie oft der Mörder hier schon vorbeigekommen war. Vermutlich hatte sich die Bet eingesperrt und verbarrikadiert. Der Kathl traute ich eher zu, dass sie sich ihre Gymnastikkeule neben die Haustür gestellt hatte, um sich zu verteidigen. Gruselig.
Dann kam er.
Ich erkannte ihn sofort, obwohl er nur eine milchige Gestalt im Nebel des Grauens war. Unbehaglich sank ich noch tiefer in den Autositz und spitzte nach draußen. Natürlich erkannte man den Metzger auch als Schattenriss. Wieder einmal zeigte es sich, dass Leute, die nicht von hier waren, keine Chance hatten, den Fall zu lösen. Jeder kannte den Metzger von hinten, jedenfalls alle, die in unserem Dorf wohnten. Auch mit dickem Anorak. Verkleidet. Vermummt. Und im Nebel.
Es war seine charakteristische Armhaltung. Er sah immer so aus, als trüge er etwas unter dem Arm. Dabei trug er nie etwas bei sich. Ich habe nie herausbekommen, wieso er so ging. Wahrscheinlich konnte er es nicht leiden, dass seine muskulösen Arme am Körper scheuerten. Oder er wollte nur so tun, als hätte er derart viele Muskeln, dass er die Arme nicht anlegen konnte.
Max hätte wahrscheinlich nicht die leiseste Ahnung, wer da vor ihm lief. Jetzt stellte sich nur die Frage: War das wirklich der Metzger? Oder war es der Mörder, der ganz raffiniert die Haltung vom Metzger nachahmte? Die Gestalt im Nebel steuerte auf die Kirchentür zu.
Hm.
Jeder wusste, dass der Metzger nie in die Kirche ging. Darüber schimpfte das ganze Dorf. Immerhin bezahlt er Kirchensteuer, sagten die einen. Aber den Hardlinern war das furchtbar egal.
»Und dann liegen s‘ alle bei uns am Friedhof, die ganzen Leut, die nie zur Beichte gegangen sind«, hatte erst kürzlich die Bet geflüstert, mit einem bedeutungsvollen Blick auf die Metzgerei.
»Ach geh, was sollt der denn beichten?«, hatte damals Großmutter gefragt. »Den ganzen Tag steht er in der Metzgerei.«
Die Rosenkranztanten hatten sich verschwörerisch angesehen. Jede wusste, dass um sechs Uhr der Laden zu machte. Und was der Metzger dann machte, wer wusste das schon genau. Es war erwiesen, dass Leute, die routinemäßig Tiere töteten, eine geringere Hemmung hatten, Messer einzusetzen. Oder nicht? Das sagten die Rosenkranztanten zwar nicht, aber diese Meinung schien wie eine kollektive Sprechblase über ihnen zu schweben. Keine nahm an, dass er einfach nach Hause ging zu seiner Alten.
Vielleicht wollte die Bet auch nur davon ablenken, dass die Schürze bei ihr in der Mülltonne gelegen hatte.
Aber es war eindeutig jemand, der im Schattenriss wie der Metzger aussah. Und er sah über die Schulter – ich rutschte noch tiefer hinter das Steuer – und drückte dann die Kirchentür auf.
Puuh. Er verschwand. Endlich konnte ich wieder atmen.
Oh läääääck, hätte Anneliese gesagt. Ich musste an die blutige Schürze denken, die man bei der Bet in der Mülltonne gefunden hatte. Trotz der Schürze hatte ich es nicht glauben können. Aber jetzt. Wo er in die Kirche ging.
Der Metzger. Wieso ging er ausgerechnet jetzt in die Kirche? Wollte er Spuren beseitigen? Aber schließlich war die Spurensicherung schon längst da gewesen. Es gab nichts mehr zu beseitigen. Eigentlich wäre das der geeignete Moment gewesen, um etwas wirklich Mutiges zu tun. Nämlich das Auto zu verlassen, hinüber zur Kirche zu schlendern und nachzugucken, was der Metzger denn da machte. Ich spürte aber so eine gewisse Muskelschwäche, die mich bewegungslos ans Steuerrad fesselte. So ein Mist auch. Aber wer weiß, was er mir angetan hätte. Metzger hatten doch mehr Messer als nur eines. Und ich dann, vollkommen hilflos mit meiner psychischen Muskellähmung. Nein. Ich sah auf die Uhr, um wenigstens zu wissen, wie lange er gebraucht hatte, um alle Spuren zu beseitigen.
Mein Auto wurde von einem nagelneuen Audi A6 überholt. Ich versuchte mich in Luft aufzulösen. Oh je. Ich kannte nur einen Audi A6 in Daytonagrau. Das war Max. Was tat er hier, zu nachtschlafender Zeit? Na ja, gut, es war erst kurz nach sechs Uhr, aber da hätte er doch genauso gut woanders sein können.
Vielleicht erkannte er mein Auto nicht.
Tatsächlich fuhr er an mir vorbei, ohne mich zu bemerken. Was mich ehrlich wunderte, weil es in unserem Ort eigentlich nur eine Person gab, die einen uralten, verrosteten, roten Ford Fiesta fuhr. Max hatte einmal angemerkt, dass sich jeder andere Mann schämen würde,
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