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In Ewigkeit, Amen

In Ewigkeit, Amen

Titel: In Ewigkeit, Amen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Susanne Hanika
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Wahrscheinlich ist er versehentlich in einen Raum hinein, hat dort seine Kisten abgestellt und ist einfach geblieben. Wie der Kurs hieß, weiß auch keiner. Vermutlich »Recycling von unbrauchbaren Gegenständen zu Kunstobjekten«. Oder »Entrümpeln der Garage leicht gemacht, in 10 Abenden«. Jedenfalls wurden dort sehr originelle Dinge produziert.
    Der Hans blieb tatsächlich in dem Kurs und kam mit einem Kunstwerk zurück, das man locker in die Pinakothek in München hätte stellen können. Wenn es der Hans hergegeben hätte. Hätte er aber nie.
    Das Kunstwerk sah aus, als hätte man einer Mörtelmischmaschine Flügel aus alten Handrührgeräten angeschweißt. Die Mama vom Hans, die Kreiterin, wollte das Teil nicht im Haus haben. Der Papa vom Hans, der Kreiter, wollte es nicht im Garten haben. Aber er verlor den Streit. Seitdem steht die geflügelte Mörtelmischmaschine im Vorgarten, direkt neben dem gefliesten Häuschen für die Mülltonne, das die Mama vom Hans jeden Donnerstagmorgen mal durchwischt.
    Die Anzahl der Kunstwerke wuchs von Jahr zu Jahr. An eines konnte ich mich besonders gut erinnern, weil es ein Teil war, das selbst meine Toleranzgrenze für Kunst überschritt.
    Der Großteil des Werks bestand aus dem Klostuhl seiner verstorbenen Großmutter. Es war nicht irgendein Stuhl, sondern ein selbst gemachter. Der alte Kreiter hatte selbst ein Loch gesägt. Anscheinend hatte er nicht gewusst, dass Stühle aus der Gründerzeit eigentlich etwas wert waren.
    »Der greißliche Stuhl, der greißliche«, hatte er zu meiner Großmutter gesagt. »Des dunkle Holz. Der g’schnitzte Krampf.«
    Jedenfalls saß seine Mutter dann auf einem antiken Klostuhl.
    Das Makabre an dem Kunstwerk war nicht der Stuhl an sich, sondern dass Hans auch noch das Gebiss seiner Großmutter recycelt hatte. Direkt auf der gedrechselten Lehne war das Gebiss angeklebt, das obszön in den Himmel schrie.
    »Des kannst ned machen«, hatte die Rosl zur Kreiterin gesagt. »Die Mare«, das war die Großmutter, »die dreht sich im Grab um.«
    »A geh!«, hatte die Kreiterin geantwortet – jedenfalls erzählte man sich das beim Metzger. »Die Zähn ham ihr eh nimma passt. Die wär uns schon amal beinah dastickt, wega dene Zähn.« Weil sie nämlich beim Essen beinahe auch das Gebiss mit verschluckt hatte. Und dann hatte die Kreiterin der Schwiegermutter bis in die »Gurgl« runterlangen müssen, um die Zähne wieder hervorzufischen.
    »Und g’scholten hat s’ dann«, hatte die Kreiterin böse erzählt, die sich darüber ärgerte, dass sie ihrer Schwiegermutter das Leben gerettet hatte und dafür nur beschimpft worden war. »Dann hamas wegg’räumt.« Das Gebiss. In die Schublade mit dem gesammelten Kreiter’schen Krimskrams. Ganz hinten rein, dass weder der Hans noch die Oma das Gebiss finden konnten, um es wieder einzusetzen. Darum hatten sie auch vergessen, das Gebiss mit in den Sarg zu geben. Sie hatten der alten Kreiterin nämlich den Mund schon zugebunden gehabt und ihn dann nicht mehr aufgebracht, um die Zähne einzusetzen. Versucht hatten sie es natürlich schon, weil die Kreiters keine Hemmungen haben, aber es hat nicht mehr funktioniert. Irgendwann hatten sie das Gebiss dann vollkommen vergessen. Bis der Hans es wiederfand. Jedenfalls hatte ich mir dieses Gebiss ein paar Mal angesehen. Diese morbide Schaulust trieb das ganze Dorf ein paar Wochen am Kreiter’schen Kunstpark vorbei, bis sich alle daran gewöhnt hatten.
    Ich sah nicht auf das Gebiss, das dort im Matsch lag. Vielleicht wollte ich gar nicht wissen, ob es die Zähne der Maria Kreiter waren. Vielleicht hätte ich es auch einfach liegen lassen sollen. Ich dachte an den Hans und an seine manchmal etwas verquere Art, mit Recht und Gerechtigkeit umzugehen. Ich versuchte mich zu erinnern, ob der Wanninger und der Hans etwas miteinander zu tun gehabt hatten. Ich versuchte mich an die Kreiter Maria zu erinnern. Die Mare, hatte Großmutter immer gesagt. Während ich die Augen aufeinanderpresste, hatte ich den Eindruck, dass mir zur Mare jede Menge Geschichten einfallen würden, wenn mir nur nicht so eiskalt wäre.
    Mein Hund hatte es doch noch geschafft, einen Fischkadaver zu finden. Der tote Fisch war zwar sehr klein, aber nicht weniger geruchsintensiv. Ich beschloss, das Gebiss als Beweisstück im Weiher zu lassen und als Erstes meinen Hund zu baden.
    Früher hatte ich abgelassene Weiher geliebt. Es hat mich immer unglaublich glücklich gemacht, keine Ahnung, wieso. Schön sahen

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