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In feinen Kreisen

In feinen Kreisen

Titel: In feinen Kreisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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das Geringste zu äußern. Aber heute Abend müssen wir uns mit einem anderen Thema beschäftigen, und das hat nichts mit ihr zu tun.« Er sah, wie Lucius zusammenzuckte. »Bitte, fahren Sie fort. Sie waren alle zusammen, bis Ihre Mutter sich relativ früh zurückzog?«
    Lucius nahm sich zusammen. »Ja. Niemand wollte nach oben gehen, – es gab keinen Grund, sich zu trennen«, sagte er müde.
    »Wir sprachen noch ein wenig über Politik, ich weiß nicht mehr genau, worum es ging. Es hatte etwas mit Deutschland zu tun. Niemand interessierte sich übermäßig für das Thema. Wir haben einfach Konversation gemacht. Ich bin dann für eine Weile im Garten spazieren gegangen. Es war alles so friedlich dort, und ich wollte ein wenig für mich allein sein. Ich… habe nachgedacht.« Er brauchte nicht auszusprechen, was ihn bekümmert hatte.
    »Haben Sie jemanden gesehen, als Sie wieder ins Haus gingen oder später, als Sie nach oben gingen?«, fragte Monk.
    »Nur die Dienstboten… und Miriam. Ich bin in ihr Zimmer gegangen, aber sie sagte mir lediglich gute Nacht, zu mehr war sie nicht bereit. Sonst bin ich niemandem mehr über den Weg gelaufen.«
    »Hat Ihr Kammerdiener Ihnen geholfen, sich auszuziehen, oder hat er Kleidung für den nächsten Tag bereitgelegt?«
    »Nein. Ich habe ihn zu Bett geschickt. Ich brauchte ihn nicht mehr, und ich zog es vor, allein zu sein.«
    »Ich verstehe. Haben Sie danach noch irgendetwas gehört oder gesehen? Irgendein Geräusch, eine Bewegung, einen Schrei, Schritte?«
    »Nein. Jedenfalls kann ich mich an nichts dergleichen erinnern.«
    Monk dankte ihm. Lucius schien noch etwas sagen zu wollen, änderte dann jedoch seine Meinung und erhob sich steif aus dem Sessel.
    Als er gegangen war, drehte Robb sich zu Monk um. Sie hatten nichts Neues erfahren. Es gab keinen Verdacht, der auf einen der Hausbewohner hinwies, nichts, was einen der möglichen Täter entlastet hätte. Robb strich sich mit den Händen über den Kopf, als wolle er sich die Haare raufen.
    »Einer von ihnen hat sie getötet! Es kann unmöglich ein Unfall gewesen sein, und niemand fügt sich solche Verletzungen selbst zu!«
    »Wir sollten auch noch mit Miriam Gardiner sprechen«, sagte Monk grimmig.
    Robb warf ihm einen Blick zu, in dem sich Hilflosigkeit mit Frustration mischte, dann erhob er sich und ging zur Tür, um das Mädchen zu Miriam zu schicken.
    Sie war nur mehr ein Schatten ihrer selbst, seit Monk sie das erste Mal gesehen hatte. Ihr Körper war abgemagert, als hätte sie jegliches Essen verweigert. Ihr Kleid hing an ihr herab, sodass sich die Knochen ihrer Schultern unter dem dünnen Stoff abzeichneten. Ihr Busen war flach, die Haut hatte jede Farbe verloren, und das schöne Haar war ohne die geringste Sorgfalt frisiert. Sie sah vollkommen erschöpft aus.
    Sie bewegte sich ruckartig und weigerte sich, Platz zu nehmen, als Robb auf einen der Sessel wies. Ihre Hände zitterten und waren zu Fäusten geballt. Sie starrte vor sich hin, als sei sie in Gedanken weit fort.
    Robb warf Monk einen verzweifelten Blick zu, begann sie dann aber, als Monk schwieg, zu befragen.
    Sie antwortete mit unnatürlich ruhiger Stimme, dass sie nicht das Geringste wisse. Sie habe das Abendessen in ihrem Zimmer eingenommen und es nicht verlassen, außer um in den Badraum zu gehen. Sie habe niemanden gesehen, außer der Dienerin, die sich um ihre persönlichen Bedürfnisse gekümmert hatte. Sie habe keine Ahnung, was vorgefallen sei. Sie habe nie einen Streit mit Mrs. Stourbridge gehabt… oder mit sonst jemandem.
    Mehr wollte sie nicht sagen.
    Und wie sehr Robb oder Monk auch in sie drangen, sie gab kein Wort mehr von sich. Sie verließ mit steifem Gang das Zimmer, ein wenig schwankend, als habe sie Mühe, das Gleichgewicht zu halten.
    »Hat sie es getan?«, fragte Robb, kaum dass die Tür sich hinter ihr geschlossen hatte.
    »Ich weiß es nicht«, gestand Monk. Sie schien sich in einem Zustand unterdrückter Hysterie zu befinden, beinahe so, als sei sie in Trance, gefangen in einer Welt, die nur wenig Bezug zur Realität hatte. Er nahm an, dass es nicht mehr viel brauchte, um sie jede Beherrschung verlieren zu lassen.
    War vielleicht genau das geschehen? War sie aus irgendeinem Grund zu Mrs. Stourbridge in deren Schlafzimmer gegangen und hatte irgendeine Bemerkung von ihr, sei sie noch so harmlos oder gut gemeint gewesen, Miriam über jene Grenze getrieben, die einen gesunden Geist vom Wahnsinn trennte? Hatte Verona Stourbridge etwas über

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