In feinen Kreisen
sie fühlte sich dazu verpflichtet, und neben allem anderen wollte sie John Robb noch einmal wieder sehen. Es war fast eine Woche seit ihrem letzten Besuch dort vergangen, und sie wusste, dass er kaum noch Morphium haben konnte. Sein Zustand verschlechterte sich, die Schmerzen nahmen zu, und es gab nur wenig, womit sie ihm helfen konnte. Sie hatte mit Billigung Phillips’ etwas Morphium aus dem Krankenhaus mitgebracht und aus ihrer eigenen Tasche eine Flasche Sherry gekauft.
Er war allein und saß in sich zusammengesunken und schlafend in seinem Sessel. Doch als er ihre Schritte hörte, richtete er sich auf. Er sah blasser aus als bei ihrem letzten Besuch, und seine Augen waren noch tiefer in ihre Höhlen gesunken. Sie hatte zu viele Sterbende gepflegt und wusste, dass er nicht mehr lange zu leben hatte.
Sie zwang sich, ihre Stimme fröhlich klingen zu lassen, aber sie konnte unmöglich so tun, als bemerke sie nicht, wie krank er war.
»Guten Tag«, sagte sie leise, während sie ihm gegenüber Platz nahm. »Es tut mir Leid, dass ich so lange nicht da war. Ich habe versucht, eine Möglichkeit zu finden, wie wir Cleo helfen können, und ich denke, dass uns das möglicherweise gelungen ist.« Noch während sie sprach wurde ihr klar, dass sie die Wahrheit ruhig ein klein wenig ausschmücken durfte – wahrscheinlich würde er nicht mehr lange genug auf dieser Erde weilen, um den Ausgang der Verhandlung zu erleben.
Er lächelte und hob den Kopf. »Das ist die beste Nachricht, die Sie mir bringen konnten, Mädchen. Ich mache mir solche Sorgen um sie. So viel Gutes hat sie bewirkt, und jetzt muss so etwas passieren. Ich wünschte, ich könnte etwas tun, um zu helfen – aber alles, was ich unternehmen könnte, würde die Sache wohl nur schlimmer machen.« Er beobachtete Hester, während er auf ihre Antwort wartete.
»Machen Sie sich keine Sorgen, es wird Sie niemand danach fragen«, antwortete sie. Das war gewiss das Letzte, was die Staatsanwaltschaft freiwillig tun würde: Männer wie John Robb in den Prozess hineinzuziehen, die bestätigen würden, dass Cleo die Medikamente an sie weitergegeben hatte.
Hester selbst hätte es begrüßt, wenn dieser Skandal an die Öffentlichkeit gelangt wäre, aber es durfte nicht auf Cleos Kosten geschehen. Bisher sah sie keine Möglichkeit, das zu bewerkstelligen.
John Robb sah sie eindringlich an. »Aber ich war einer von denen, für die sie die Medikamente gestohlen hat – nicht wahr?«
»Sie hat vielen Menschen Medikamente gebracht«, antwortete Hester aufrichtig. »Es waren insgesamt achtzehn, aber Sie waren einer von Cleos Lieblingen.« Sie lächelte. »So wie Sie einer von meinen sind.«
Er grinste, als hätte sie mit ihm geflirtet. »Aber einige der Medikamente, die sie genommen hat, waren für mich bestimmt, oder?«, bedrängte er sie.
»Ja. Für Sie und für andere.«
»Und woher haben Sie die Medikamente jetzt, Mädchen? Ich würde lieber darauf verzichten, als Sie auch noch in Schwierigkeiten zu bringen.«
»Das weiß ich, aber Sie brauchen sich keine Sorgen zu machen. Diese Medikamente hat mir der Apotheker selbst gegeben.« Das war zwar eine etwas großzügige Auslegung der Wahrheit, aber es spielte keine Rolle. »Ich mache Ihnen eine Tasse Tee, und dann können wir ein Weilchen zusammensitzen. Ich habe auch etwas Sherry mitgebracht – nicht aus dem Krankenhaus, ich habe ihn selbst gekauft.« Während sie sprach, stand sie auf. »Diesmal brauchen wir keine Milch für den Tee – wir haben etwas Besseres, um ihm Geschmack zu geben.«
»Das wäre schön«, stimmte er ihr zu. »Dann können wir noch ein bisschen reden. Sie erzählen mir einige Geschichten über Florence Nightingale, wie sie es diesen Generälen gezeigt und ihren Kopf durchgesetzt hat. Ich will eine gute Geschichte hören, Mädchen.«
»Die sollen Sie kriegen«, versprach sie. Dann ging sie in die Ecke des Raums, die als Küche diente, und setzte Wasser auf. Nachdem der Tee fertig war, goss sie eine großzügige Portion Sherry in den Becher für Robb und legte das Morphium in das Regal, wo Michael es am Abend finden würde. Dann ging sie zurück zu John Robb und überreichte ihm den Becher; sie selbst hatte sich nichts in den Tee getan.
Er nippte genüsslich an dem Getränk. »Dann erzählen Sie mir mal, wie Sie diese Generäle überlistet haben, Mädchen. Sagen Sie mir, was heute alles besser gemacht wird, wegen des Kriegs und alledem, was Sie dort gelernt haben.«
Sie berichtete von allen
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