In feinen Kreisen
Platz eingenommen, als er Hester erblickte, wie sie sich mit einigen schnellen Worten an dem Gerichtsdiener vorbeidrängte, der noch immer mit ihr sprach, während sie bereits an ihm vorbeigegangen war und an Rathbones Tisch trat.
»Was gibt es Neues?«, fragte er und sah in ihr blasses, angespanntes Gesicht. »Was ist passiert?«
»Ich war heute Morgen bei Cleo«, flüsterte sie und beugte sich zu ihm vor. »Sie weiß, dass Miriam hängen wird, und es gibt nichts, was Sie tun können, es sei denn, die Wahrheit kommt ans Licht. Cleo kennt nur einen Teil dieser Wahrheit, aber sie kann es nicht ertragen, Miriam zu verlieren, ganz gleich, wer sonst dadurch zu Schaden kommt – selbst wenn es Lucius sein sollte und Miriam ihr das vielleicht niemals verzeihen wird.«
»Was weiß sie?«, fragte Rathbone scharf. »Welchen Teil der Wahrheit kennt sie? Um Gottes willen, Hester, sagen Sie es mir! Ich habe nichts in der Hand!«
»Rufen Sie Cleo in den Zeugenstand. Fragen Sie sie, wie sie Miriam überhaupt kennen gelernt hat. Sie denkt, dass die gegenwärtigen Ereignisse damit zu tun haben – es muss etwas so Furchtbares sein, dass Miriam sich nicht daran erinnern kann oder will. Aber jetzt haben Sie nichts mehr zu verlieren…«
»Danke, vielen Dank…« Spontan beugte er sich vor und küsste sie auf die Wange, und es war ihm gleichgültig, dass der Richter und alle anderen im Saal ihn beobachteten.
Tobias hüstelte vernehmlich und lächelte.
Der Richter schlug mit seinem Hammer auf den Tisch.
Hester lief rot an, kehrte aber mit einem Lächeln zu ihrem Platz zurück.
»Sind Sie so weit, dass Sie fortfahren können, Sir Oliver?«, fragte der Richter höflich.
»Jawohl, Euer Ehren. Ich rufe Mrs. Cleo Anderson in den Zeugenstand.«
Auf der Galerie machte sich ein aufgeregtes Raunen bemerkbar, und mehrere der Geschworenen rutschten unruhig auf ihren Stühlen herum.
Cleo wurde von der Anklagebank zum Zeugenstand geführt. Sie stand sehr aufrecht da, aber es kostete sie offensichtlich große Mühe, und sie sah kein einziges Mal zu Miriam hinüber. Mit unsicherer Stimme legte sie ihren Eid auf die Bibel ab, nannte ihren Namen und ihre Adresse und wartete dann ängstlich darauf, dass Rathbone mit dem Verhör begann.
Es war Rathbone zutiefst zuwider, was er nun tun musste, aber es ließ sich nicht vermeiden.
»Mrs. Anderson, wie lange leben Sie schon in Ihrem gegenwärtigen Haus in Green Man Hill?«
Sie verstand anscheinend sofort, was die Frage bedeutete, obwohl Tobias diesbezüglich im Dunkeln tappte, und seine Unsicherheit trat unverhohlen zu Tage, als er verärgert in die Runde blickte.
»Ungefähr dreißig Jahre«, erwiderte Cleo.
»Sie wohnten also bereits dort, als Sie Mrs. Gardiner das erste Mal begegneten?«, fragte Rathbone.
»Ja.« Es war kaum mehr als ein Flüstern.
Der Richter beugte sich vor. »Bitte sprechen Sie lauter, Mrs. Andersen. Die Geschworenen müssen Sie verstehen können.«
»Es tut mir Leid, Sir. Ja, ich wohne da.«
»Wie lange ist das jetzt her?«
Tobias erhob sich. »Das sind doch alles alte Geschichten, Euer Ehren. Wenn es Sir Oliver in irgendeiner Weise weiterhilft, konzediert die Krone, um dem Gericht Zeit zu sparen, an dieser Stelle Folgendes: Mrs. Anderson hat Mrs. Gardiner aufgenommen, als sie noch ein Kind war, und sie hat sich von Stund an mit großer Hingabe um sie gekümmert. Dies ist eine Tatsache, die wir nicht bestreiten, ebenso wenig, wie wir Beweise dafür benötigen.«
»Ich danke Ihnen«, sagte Rathbone mit beinahe übertriebener Freundlichkeit. »Aber darum geht es mir nicht. Wenn Sie so sehr darauf erpicht sind, nur ja nicht die Zeit des Gerichts zu vergeuden, würden Sie dann bitte so freundlich sein, mich nicht zu unterbrechen, solange dafür kein guter Grund vorliegt?«
Auf der Galerie wurde leises, nervöses Lachen laut, und wenigstens zwei der Geschworenen konnten sich ein Lächeln nicht verkneifen.
Der Zorn trieb Tobias die Röte in die Wangen, aber er hatte sich fast sofort wieder unter Kontrolle.
Rathbone wandte sich erneut an Cleo.
»Mrs. Anderson, würden Sie uns bitte schildern, unter welchen Umständen Sie Mrs. Gardiner das erste Mal begegnet sind?«
Das Sprechen kostete Cleo große Anstrengung. Es war nicht zu übersehen, dass die Erinnerung sie aufwühlte und nur die Verzweiflung sie zu diesem Schritt trieb.
Rathbone hatte praktisch keine Ahnung, warum er ihr diese Frage stellte, nur dass Hester ihn dazu gedrängt hatte und er ansonsten über
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