In feinen Kreisen
können Sie nicht tun! Nach all dieser Zeit wird man nichts mehr finden…«
»Ich muss es versuchen! Was, wenn tatsächlich eine Frau ermordet wurde? Was, wenn Miriam die ganze Zeit über die Wahrheit gesagt hat?«
»Das hat sie nicht!«
»Aber was, wenn doch? Sie ist Ihre Mandantin, Oliver! Solange es Zweifel gibt, müssen Sie zumindest an die Möglichkeit ihrer Unschuld glauben. Sie müssen davon ausgehen, dass sie die Wahrheit sagt, bis endgültig bewiesen ist, dass es nicht so ist.«
»Sie war dreizehn, sie hatte gerade ein totes Kind zur Welt gebracht, sie war allein und außer sich…«
»Ich gehe jetzt zu Sergeant Robb. Er wird mir bei der Suche helfen, ganz egal, was er glaubt, und er wird es um Cleos willen tun. Er ist ihr etwas schuldig, und es ist eine Schuld, die er niemals wird begleichen können. Das weiß er.«
»Und falls er es vergessen sollte, werden Sie ihn zweifellos daran erinnern!«
»Selbstverständlich!«, pflichtete sie ihm bei. »Aber er wird es nicht vergessen.«
»Was ist mit Monk?«, fragte er sie streitlustig, als sie sich abwandte, um zu gehen.
»Er ist immer noch damit beschäftigt, mehr über Treadwell und die Leichen in Erfahrung zu bringen«, sagte sie über die Schulter.
»Leichen! Was für Leichen, Hester?«
Aber sie war bereits zu weit entfernt und beschleunigte jetzt ihren Schritt. Und wenn er nicht hinter ihr herjagen wollte, konnte er nichts tun, als sich zu überlegen, wie er morgen früh dem Gericht gegenübertreten wollte.
Michael Robb saß allein in dem Raum, den er bis vor kurzem noch mit seinem Großvater geteilt hatte. Der wuchtige Sessel stand an seinem Platz, als würde der alte Mann eines Tages vielleicht zu ihm zurückkehren. Das Zimmer wirkte seltsam leer.
»Mrs. Monk!«, sagte Robb überrascht. »Was ist passiert? Ist etwas nicht in Ordnung?«
»Nichts ist in Ordnung«, antwortete sie und blieb stehen, obwohl er ihr angeboten hatte, Platz zu nehmen. »Cleo wird verurteilt werden, wenn wir nicht irgendeinen Beweis dafür finden, dass auch Miriam unschuldig ist, und unsere einzige Chance besteht darin, die Leiche der Frau zu finden…«
»Welcher Frau? Einen Moment mal!« Er hob die Hand. »Was ist bei Gericht geschehen? Ich war nicht da.«
Mit hastigen Worten berichtete sie ihm von Cleos Zeugenaussage, von ihrer Geschichte, wie sie Miriam das erste Mal gesehen hatte, wie dann Aiden Campbell in den Zeugenstand getreten war und alles abgestritten und eine andere Erklärung für den Ablauf des damaligen Geschehens gegeben hatte.
»Wir müssen die Frau finden, von der Miriam sagte, dass sie damals ermordet wurde!«, kam sie mit verzweifelter Miene zum Ende. »Das würde beweisen, dass sie die Wahrheit gesagt hat! Zumindest würde die Polizei dann der Sache auf den Grund gehen müssen!«
»Sie hat zweiundzwanzig Jahre da draußen gelegen!«, protestierte er. »Es ist fraglich, ob überhaupt noch etwas von ihr übrig geblieben ist!«
»Fällt Ihnen vielleicht etwas Besseres ein?«, fragte sie scharf.
»Nein, aber…«
»Dann helfen Sie mir! Wir müssen nach ihr suchen!«
Er zögerte nur einen Augenblick. Sie konnte an seiner Miene ablesen, dass er das Unterfangen für hoffnungslos hielt. Aber er hatte das Gefühl, Cleo etwas schuldig zu sein. Schweigend griff er nach seiner Laterne und folgte Hester nach draußen in die hereinbrechende Dunkelheit.
Seite an Seite gingen sie Richtung Green Man Hill und zu den Cottages, wo Cleo Anderson bis zu ihrer Verhaftung gelebt hatte. Sie blieben vor dem Haus stehen, das Gesicht der Heide zugewandt. Es war jetzt fast dunkel; nur die massigen Umrisse der Bäume zeichneten sich schwarz vor dem klaren Herbsthimmel ab.
»Was meinen Sie, wo wir anfangen sollen?«, fragte Robb.
Sie war ihm dankbar für das »Wir«, dankbar, dass er das Ganze nicht als ihre, Hesters, Idee abtat, an der er nur am Rande beteiligt war.
Sie hatte darüber nachgedacht, während sie schweigend nebeneinander hergegangen waren.
»Es kann nicht sehr weit sein«, sagte sie und blickte über die Grasfläche. »Miriam war nicht in der Verfassung, eine große Strecke zu laufen. Wenn die arme Frau wirklich ermordet wurde, zu Tode geprügelt, wie Miriam anscheinend sagte, dann wird der Täter dies sicherlich nicht allzu nah an der Straße getan haben.« Sie schob den Gedanken beiseite und weigerte sich, die Bilder an sich heranzulassen. »Selbst wenn es nur ein einzelner Schlag war – und beten wir zu Gott, dass es so war –, kann die Tat
Weitere Kostenlose Bücher