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In feinen Kreisen

In feinen Kreisen

Titel: In feinen Kreisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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nicht vollkommen lautlos geschehen sein. Es muss einen Streit gegeben haben, eine Anschuldigung oder irgendetwas! Miriam war dabei, sie hat es mit angesehen. Sie zumindest muss geschrien haben – und dann geflohen sein.«
    Er musterte sie eindringlich, und im Schein der Laterne sah sie, wie er nickte. Sein Gesicht verriet seinen Abscheu über das, was sie gerade beschrieben hatte.
    »Wer es auch war, er konnte ihr nicht folgen«, fuhr sie unbarmherzig fort. »Weil er Angst hatte, erwischt zu werden. Zuerst musste er sich der Leiche der Frau entledigen…«
    »Mrs. Monk… glauben Sie wirklich, was Sie da schildern?«, unterbrach er sie.
    Sie bekam langsam selbst Zweifel daran, aber sie würde auf keinen Fall aufgeben.
    »Natürlich!«, sagte sie scharf. »Wir werden es beweisen! Wenn Sie jemanden getötet hätten und Sie wüssten, dass ein junges Mädchen Sie dabei beobachtet hat, und dieses Mädchen wäre davongelaufen, schreiend vielleicht, was würden Sie tun? Wie würden Sie vorgehen, um eine Leiche so schnell wie möglich zu beseitigen, sodass jemand, der vorbeikommt, um nach der Ursache des Lärms zu forschen, nichts bemerken würde?«
    Seine Augen weiteten sich. Er wollte schon Einwände erheben, überlegte es sich aber doch anders und begann nachzudenken. Er ging durch das Gras zu den ersten Bäumen hinüber und sah sich um.
    »Hm, ich würde keine Zeit haben, ein Grab zu schaufeln«, sagte er langsam. »Der Boden ist hart und voller Wurzeln. Und außerdem würde umgegrabene Erde auffallen.«
    Er ging ein wenig weiter, und sie folgte ihm rasch.
    Über ihnen kreiste etwas in der Dunkelheit. Unwillkürlich stieß Hester einen leisen Schrei aus.
    »Es ist nur eine Eule!«, beruhigte er sie.
    Sie fuhr herum. »Wo ist sie denn geblieben?«
    »Auf einem der Bäume«, antwortete er. Er hob die Laterne und lenkte ihr Licht in die Äste. Sie sahen blassgrau aus vor dem Hintergrund des dunklen Himmels, und die Schatten schienen sich zu bewegen.
    Sie war froh, dass sie nicht allein hergekommen war. Sie stellte sich vor, wie Miriam sich gefühlt haben musste: Sie hatte ihr Kind verloren, eine Frau, die sie liebte, war vor ihren Augen getötet worden und sie selbst wurde verfolgt und gejagt, sie blutete und stand Todesängste aus. Kein Wunder, dass sie so verwirrt war, als Cleo sie fand.
    »Wir müssen weitersuchen!«, sagte sie entschlossen. »Wir müssen jede Möglichkeit ins Auge fassen. Wenn die Leiche hier ist, werden wir sie finden!« Sie ging mit langen Schritten voran, wobei sie ihre Röcke raffte, um nicht darüber zu stolpern. »Sie sagten, er kann sie nicht vergraben haben. Er kann sie aber auch nicht für alle sichtbar liegen gelassen haben. Und sie wurde nicht gefunden! Also hat er sie so gut versteckt, dass niemand vor uns sie entdeckt hat! Wo könnte das sein?«
    »In einem Baum«, antwortete er. »So muss es gewesen sein. Eine andere Möglichkeit gibt es hier nicht!«
    »Auf einem Baum? Aber jemand hätte die Leiche doch sicher nach einiger Zeit gefunden!«, wandte sie ein. »Sie würde verwesen! Sie…«
    »Ich weiß!«, sagte er hastig und schüttelte dann den Kopf, wie um das Bild wieder loszuwerden. Er bewegte die Laterne auf und ab, um das Unterholz und weitere Bäume anzuleuchten. Ein Wiesel rannte über den Weg und sein magerer Leib leuchtete kurz in dem Lichtstrahl auf, bevor es wieder verschwand.
    »Die Tiere hätten die Leiche mit der Zeit aufgefressen, nicht wahr?«
    »Mit der Zeit, ja.«
    »Nun, es ist über zwanzig Jahre her! Was wäre jetzt noch übrig? Knochen? Zähne?«
    »Haare«, sagte er. »Vielleicht Kleider, Schmuck, Knöpfe.
    Möglicherweise Stiefel.« Hester schauderte.
    Er sah sie an und hielt das Licht ein wenig tiefer, um sie nicht zu blenden.
    »Ist alles in Ordnung mit Ihnen, Mrs. Monk?«, erkundigte er sich sanft. »Ich kann das allein übernehmen, wenn Sie wollen? Ich bringe Sie zurück und komme dann wieder hierher. Ich verspreche, ich werde…«
    Sie lächelte über seinen Ernst. »Ich weiß, dass Sie das tun würden, aber mir geht es sehr gut, vielen Dank. Lassen Sie uns weitermachen.«
    Er zögerte einen Moment, immer noch unsicher, aber als sie in ihrem Entschluss nicht wankend wurde, richtete er die Laterne auf den Weg vor ihnen und setzte sich in Bewegung.
    Sie gingen etwa vierzig oder fünfzig Meter weit und suchten auf beiden Seiten nach einer Stelle, die sich als Versteck eignen würde. Hester hatte mehr und mehr das Gefühl, ihre und auch Robbs Zeit zu

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