Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In feinen Kreisen

In feinen Kreisen

Titel: In feinen Kreisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
verschwenden. Sie hatte Miriams Geschichte geglaubt, weil sie sie glauben wollte, um Cleos willen, nicht weil sie wirklich glaubwürdig klang.
    »Sergeant Robb«, hob sie an.
    Er drehte sich um, und der Lichtstrahl wanderte über die beiden Bäume zu ihrer Rechten. Er verfing sich für einen Moment im Gestrüpp der unteren Zweige.
    »Was ist das?«, fragte er schnell.
    »Ein altes Vogelnest«, erwiderte sie. »Vom letzten Jahr, so wie es aussieht.«
    Er ließ das Licht darüber gleiten, dann trat er näher heran.
    »Was?«, fragte sie mit mehr Neugier als Hoffnung.
    »Geschickt, wie sie ihre Nester bauen, nicht wahr, vor allem, wenn man bedenkt, dass sie keine Hände haben.«
    Er reichte ihr die Laterne. »Halten Sie sie bitte so, dass ich es mir genauer ansehen kann.«
    »Ein Vogelnest?« Aber sie tat wie geheißen und hielt die Laterne.
    Nachdem er nun beide Hände frei hatte, war es nicht weiter schwierig für ihn, den Baum hinaufzuklettern, bis er auf gleicher Höhe mit dem Nest war und die Stelle untersuchen konnte, wo es in einer Astgabel dicht am Baumstamm befestigt war.
    »Was ist das?«, rief sie hinauf.
    »Haare!«, antwortete er ihr von oben. »Lange Haare, Unmengen davon. Das ganze Nest besteht aus Haaren.« Seine Stimme zitterte. »Ich werde nach einem hohlen Baum suchen. Sie brauchen nur die Laterne festzuhalten und wegzusehen.«
    Sie spürte, wie ihr Magen sich vor Aufregung zusammenkrampfte. Sie hatte nicht mehr daran geglaubt, und jetzt waren sie ihrem Ziel ganz nahe.
    »Ja«, sagte sie mit bebender Stimme. »Ja, natürlich.« Am Ende brauchte er nur fünfzehn Minuten, um den Baum mit dem ausgehöhlten Stamm zu finden, der vor sehr langer Zeit von einem Blitz getroffen worden und inzwischen verfault war. Er befand sich näher an der Straße als das Nest, aber die Zweige verbargen das Loch, solange man nicht eigens danach suchte. Vielleicht war das Versteck vor zweiundzwanzig Jahren augenfälliger gewesen. Der ganze Baum war hohl.
    »Sie ist da drin«, sagte Robb mit belegter Stimme. Dann kletterte er wieder hinunter, die Laterne an seinem Gürtel befestigt. Seine Beine zitterten, als er wieder am Boden stand.
    »Es ist nur ein Skelett, aber es ist noch Stoff da…« Er blinzelte, und sein Gesicht wirkte gelb im Licht der Lampe. »Nach der Verletzung am Schädelknochen zu schließen, ist sie durch einen einzigen Schlag getötet worden… genau wie Treadwell… und Mrs. Stourbridge.«

13
    Rathbone hatte nur wenig geschlafen. Kurz nach Mitternacht klopfte ein Bote mit einer Nachricht von Hester an seine Tür:
    Lieber Oliver, wir haben die Leiche gefunden. Es scheint eine Frau mit grauem Haar gewesen zu sein. Sie wurde durch einen schweren Schlag auf den Kopf getötet – genau wie die anderen. Ich befinde mich mit Sergeant Robb auf dem Polizeirevier. Man weiß hier nicht, wer die Frau ist. Ich werde natürlich William alles erzählen. Morgen früh bin ich im Gericht, um auszusagen. Sie müssen mich in den Zeugenstand rufen! Bis morgen, Hester.
    Es war ihm unmöglich gewesen einzuschlafen. Eine Stunde später hatte er sich ein heißes Getränk zubereitet, schritt im Arbeitszimmer auf und ab und versuchte, sich eine Strategie für den nächsten Tag zurechtzulegen. Zu guter Letzt ging er doch noch ins Bett und sank, unmittelbar bevor es Zeit wurde aufzustehen, in einen tiefen Schlaf.
    Sein Kopf schmerzte, und sein Mund war trocken. Sein Kammerdiener brachte ihm das Frühstück, aber er aß nur etwas Toast und trank eine Tasse Tee, dann machte er sich sofort auf den Weg zum Gericht. Er war viel zu früh dran, und die Zeit, von der er gedacht hatte, dass er sie zur Vorbereitung nutzen würde, vergeudete er mit sinnlosem Hin und Her zwischen verschiedenen Orten und mit Gesprächen, bei denen er nichts erfuhr.
    Tobias war bester Laune. Er traf im Korridor auf Rathbone und wünschte ihm mit einem schiefen Grinsen alles Gute. Er hätte ja nichts gegen einen härteren Kampf gehabt, ein so leichter Sieg hinterließ einen faden Nachgeschmack.
    Die Galerie war wieder halb leer. Die Öffentlichkeit hatte bereits ihren Schuldspruch gefällt, und die wenigen Anwesenden waren nur hier, um zu sehen, wie der Gerechtigkeit Genüge getan wurde und um eine gewisse Rache auszukosten, außer Lucius und Harry Stourbridge, die nebeneinander in einer der ersten Reihen saßen. Selbst aus einiger Entfernung war zu erkennen, dass sie einander stützten, dass sie ihren Kummer miteinander teilten.
    Der Richter eröffnete die

Weitere Kostenlose Bücher