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In feinen Kreisen

In feinen Kreisen

Titel: In feinen Kreisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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erübrigen, um seinen Patienten persönlich zu betreuen? Eine Stunde, wenn der Patient wichtig ist – weniger, wenn er es nicht ist! Wer kümmert sich in der restlichen Zeit um ihn?« Sie öffnete eine Tür auf der anderen Seite des Raums, durch die man in den Korridor gelangte, der sämtliche Räume des Erdgeschosses miteinander verband.
    »Der hauseigene Medizinalbeamte…«, begann Hester.
    »Der Apotheker!«, sagte Callandra und hob wegwerfend die Hand.
    Hester schloss die Tür hinter sich. »Sie ziehen es inzwischen vor, sie als hauseigene Medizinalbeamte zu bezeichnen«, bemerkte sie. »Und die Operationsassistenten und Krankenschwestern. Ich weiß, worauf du hinaus willst. Wenn wir Operationsassistenten und Krankenschwestern nicht ausbilden und sie anständig bezahlen, sind alle Bemühungen anderer Zeitverschwendung. Der beste Chirurg ist immer noch abhängig von der Pflege, die wir seinen Patienten angedeihen lassen, nachdem er sie behandelt hat.«
    »Das weiß ich!« Callandra zögerte und dachte darüber nach, ob sie nach rechts zur Unfallstation gehen sollte oder nach links, am Autopsieraum vorbei in die Augenabteilung, wo auch das Sekretariat und das Büro des Krankenhauses lagen. »Sie wissen das!« Callandra beschloss, nach links zu gehen. »Dr. Beck weiß das!« Sie sprach immer sehr förmlich von ihm, als seien sie nicht schon jahrelang Freunde, als gingen ihre Gefühle füreinander nicht sehr viel tiefer, als beide es sich eingestanden.
    »Aber Mr. Ordway ist sehr zufrieden mit der Situation, so wie sie ist! Wenn es nach ihm ginge, würden wir noch immer Feigenblätter tragen und unser Essen roh verzehren.«
    »Feigen wahrscheinlich«, bemerkte Hester trocken. »Oder Äpfel?«
    Callandra warf ihr einen scharfen Blick zu. »Feigen«, gab sie im Brustton der Überzeugung zurück. »Er würde nie den Mut aufbringen, den Apfel zu nehmen!«
    »Dann hätten wir auch keine Feigenblätter getragen, der Himmel steh uns bei!«, bemerkte Hester, die ein Lächeln verbergen musste.
    »Die Ehe hat Sie ganz ohne Zweifel schamlos gemacht!«, fuhr Callandra sie an, aber die Befriedigung in ihrer Stimme war unüberhörbar. Sie hatte sich schon lange gewünscht, Hester glücklich zu sehen und ein oder zweimal vorsichtig zum Ausdruck gebracht, sie könne sich mit ihrer Scharfzüngigkeit womöglich jede Möglichkeit auf Glück selbst verbauen.
    Sie erreichten das Ende des Korridors und Callandra wandte sich nach rechts, wo das Vorstandsbüro lag. Das Zögern in ihrem Schritt war so leicht, dass Hester, hätte sie dem vor ihnen liegenden Gespräch nicht selbst mit banger Erwartung entgegengesehen, es vielleicht gar nicht bemerkt hätte.
    Callandra klopfte an die Tür.
    »Herein!«, erklang eine Befehlsgewohnte Stimme von der anderen Seite.
    Callandra drückte die Tür auf und trat, gefolgt von Hester, ein.
    Der Mann, der an dem großen Tisch saß, war untersetzt, sein Haar lichtete sich bereits an den Schläfen, und seine ausgeprägten Züge verrieten Sturheit. Sein Gesicht war nicht sehr ansprechend, strahlte aber eine gewisse Vornehmheit aus. Er war überaus gut gekleidet, obwohl sein Nadelstreifenanzug an diesem Sommertag gewiss ungemütlich warm sein musste. Der weiße Kragen war hoch und steif. Quer über seiner breiten Brust hing eine goldene Uhrkette.
    Bei Callandras Eintritt strafften sich seine Züge. Als er Hester hinter ihr entdeckte, lief buchstäblich ein Zucken über sein Gesicht.
    »Lady Callandra…« Er erhob sich halb von seinem Stuhl, eine Geste der Höflichkeit. Sie war weder eine Krankenpflegerin noch eine Angestellte, so sehr sie auch ein Dorn in seinem Fleisch sein mochte. »Was kann ich für Sie tun?« Er nickte Hester zu. »Miss Latterly.«
    »Mrs. Monk«, korrigierte Callandra ihn mit einiger Befriedigung.
    Er errötete leicht und drehte sich mit einer angedeuteten Verbeugung zu Hester um. Nach dieser stummen Entschuldigung strich er mit der Hand über die Papiere vor sich, um anzudeuten, wie beschäftigt er war, und gleichzeitig zu vermitteln, dass einzig seine Höflichkeit ihn daran hinderte, sie darauf hinzuweisen, dass sie ihn bei der Arbeit störten.
    »Mr. Thorpe«, begann Callandra energisch, »ich habe gerade noch einmal mit Mr. Ordway gesprochen, ohne Ergebnis. Ich kann sagen, was ich will, er sieht einfach nicht ein, dass es notwendig ist, die Bedingungen zu verbessern…«
    »Lady Callandra«, unterbrach er sie müde, aber mit einem scharfen Klang in der Stimme. »Wir haben diese

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