In feinen Kreisen
sein Gesicht. »Unterlassen Sie solche schnippischen Bemerkungen mir gegenüber, Madame! Ich möchte Sie daran erinnern, dass Sie über keinerlei medizinische Ausbildung verfügen. Sie sind eine ungelernte Hilfskraft und vollkommen unkundig und überdies als Frau für die Härten und die Anforderungen der medizinischen Wissenschaft ungeeignet. Nur weil Sie im Ausland bei der Pflege schwer verletzter Soldaten von Nutzen waren, die für Königin und Land kämpften, sollten Sie nicht die unglückselige Miss Nightingale imitieren! Und bilden Sie sich nicht ein, Sie könnten uns Übrige lehren, was wir zu tun haben!«
Hester wusste eine ganze Menge über Florence Nightingales Charakter, viel mehr als Fermin Thorpe, der sie nur durch ihre umfangreiche Korrespondenz mit jedem kannte, der auch nur im Entferntesten mit Krankenhausverwaltung zu tun hatte. Hester wusste um Miss Nightingales Mut, um ihre Ausdauer und ihren Kampfgeist, der andere ebenfalls dazu brachte, bis zur Selbstaufopferung zu arbeiten. Aber Hester kannte auch ihre ständigen Nörgeleien, ihre zwanghafte Beschäftigung mit Details, ihre Unbeherrschtheit und die heftigen Gefühle, die sie fast bis an den Rand der Erschöpfung trieben. Sie würde Fermin Thorpe und seinesgleichen, wenn sie sie schon nicht überzeugen konnte, wenigstens zermürben.
Ihre Erfahrungen auf der Krim, die schwer erkämpften und seltenen Siege, vor allem aber der Geist jener Jahre mäßigten Hesters Antwort.
»Ich bin überzeugt davon, Miss Nightingale glaubt, dass sie das, was sie aus ihren Erfahrungen, die Sie selbst nicht machen konnten, gelernt hat, mit Ihnen teilt«, sagte sie mit honigsüßer Stimme. »Wo Sie selbst doch hier in England geblieben sind. Ihr ist sicher nicht klar, dass ihre Bemühungen nicht willkommen sind.«
Thorpe lief scharlachrot an. »Sie meint es sicher nur gut«, antwortete er in einem Tonfall, der versöhnlich klingen sollte, obwohl er mit zusammengebissenen Zähnen sprach. »Sie begreift einfach nicht, dass Dinge, die in Sewastopol galten, nicht unbedingt auch in London gelten müssen.«
Hester holte tief Luft. »Da sie an beiden Orten gewesen ist, bildet sie sich vielleicht ein, dass die Dinge, so weit es das Heilen von Wunden betrifft, überall gleich sind. Ich leide selbst an dieser irrigen Vorstellung.«
Thorpes Lippen verzogen sich zu einer dünnen Linie.
»Ich habe meine Entscheidung getroffen, Madame. Die Frauen, die in dieser Einrichtung arbeiten, erfüllen unsere Anforderungen recht zufrieden stellend, und sie werden entsprechend ihren Fähigkeiten und ihrem Pflichteifer entlohnt. Wir werden unsere sehr begrenzten finanziellen Mittel für die Dinge verwenden, die im besten Interesse unserer Patienten liegen – namentlich für tüchtige Chirurgen und Ärzte, die ausgebildet, qualifiziert und erfahren sind. Ihre Mitarbeit bei der Aufrechterhaltung der Ordnung im Hospital wissen wir selbstverständlich zu schätzen, ebenso wie man es allenthalben würdigt, wenn Sie den Patienten hier Mut machen und die Moral unserer Krankenschwestern stärken. Tatsächlich«, fügte er bedeutungsvoll hinzu, »würde man Sie sehr vermissen, wenn Sie nicht mehr herkämen. Ich bin davon überzeugt, dass die anderen Herren von der Krankenhausverwaltung mir da ganz und gar zustimmen. Und nun wünsche ich Ihnen noch einen guten Tag.«
Es blieb ihnen nichts anderes übrig, als so höflich wie möglich darauf zu antworten und sich zurückzuziehen.
»Der Mann hat ganz bestimmt seine guten Seiten, nur ist es mir bisher leider nicht gelungen, sie zu entdecken«, bemerkte Callandra, als sie wieder draußen im Korridor standen und außer Hörweite waren.
»Er ist pünktlich«, erwiderte Hester trocken. »Und sauber«, fuhr sie nach einigem Nachdenken fort.
Sie gingen eilig zurück in Richtung der Operationssäle, wobei sie an einer älteren Krankenpflegerin vorbeikamen. Ihre Schultern wurden von dem Gewicht der Eimer herabgezogen, die sie in den Händen hielt. Ihr Gesicht war aufgedunsen, ihre Augen sahen blutunterlaufen aus. »Und nüchtern«, ergänzte Hester.
»Das sind keine Verdienste«, sagte Callandra verbittert.
»Solche Dinge ergeben sich aus der Erziehung und den Lebensumständen. Er hat die Möglichkeit, sauber zu sein, und das Einzige, woran er sich berauscht, ist seine eigene Wichtigkeit. Dieser Rausch bedeutet ihm so viel, dass Alkohol vollkommen überflüssig ist.«
Sie kamen an der hauseigenen Apotheke vorbei. Callandra zögerte, als wolle sie noch
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