In feinen Kreisen
etwas hinzufügen, ging dann aber weiter.
Kristian Beck kam aus dem Operationssaal. Er trug seinen Mantel, und seine Manschetten waren sauber, also hatte er nicht operiert. Als er Callandra sah, leuchtete sein Gesicht auf, dann nahm er den Ausdruck in ihren Augen wahr.
»Nichts?«, sagte er, und es war mehr eine Antwort als eine Frage. Beck war von durchschnittlicher Größe, und sein Haar lichtete sich bereits ein wenig, aber sein Mund verriet Leidenschaft und Empfindsamkeit, und seine Stimme besaß ein schönes Timbre. Hester wusste, dass seine Freundschaft mit Callandra über die bloße Beziehung von Menschen hinausging, die mit dem gleichen Einsatz für die gleichen Ziele kämpften. Wie persönlich die Beziehung zwischen den beiden war, hatte sie nie hinterfragt. Kristian war verheiratet, obwohl sie ihn nie von seiner Frau sprechen hörte. Jetzt sah er Callandra ernst an, während sie von ihrem Gespräch mit Thorpe berichtete. Er wirkte müde. Hester wusste, dass er wahrscheinlich die ganze Nacht im Krankenhaus verbracht hatte, um irgendeinem Patienten in einer Krise beizustehen. Es lagen tiefe Schatten unter seinen Augen, und seine Haut wirkte fahl.
»Er hört uns nicht einmal zu«, sagte Callandra. Noch wenige Minuten zuvor war sie erschöpft gewesen und wütend auf Thorpe und auf sich selbst. Jetzt klang ihre Stimme plötzlich sanfter, und sie gab sich alle Mühe, ihre eigene Hoffnungslosigkeit zu verbergen. »Ich bezweifle, dass ich ihn richtig angefasst habe…«
Kristian lächelte. »Wahrscheinlich nicht«, erwiderte er mit leichter Ironie, in der Resignation und Zuneigung mitschwangen. »Mr. Thorpe ist leider nicht mit der Gabe des Humors gesegnet. Er hat nichts, womit er die Schläge des Lebens abmildern könnte.«
»Es war meine Schuld«, sagte Hester leise. »Ich fürchte, ich war ein wenig zu sarkastisch. Der Mann weckt meine niedersten Instinkte – und ich lasse es zu. Wir müssen es noch einmal versuchen mit einer ganz anderen Strategie. Ich weiß nur noch nicht, mit welcher.« Sie warf Kristian einen Blick zu und zwang sich zu einem Lächeln. »Er hat die Unverschämtheit besessen, uns nahe zu legen, dass wir uns mit der Disziplin im Krankenhaus beschäftigen und die Patienten trösten sollten!« Sie knirschte mit den Zähnen. »Vielleicht sollte ich tatsächlich in den Krankensaal gehen und ein paar aufmunternde Bemerkungen machen?« Ihre Absicht war es, Kristian und Callandra allein zu lassen, eine Gelegenheit, die sich für sie nur selten ergab.
Callandra sah sie nicht an. Sie kannten einander zu gut, um der Worte zu bedürfen, und diese Angelegenheit war in der Tat delikater Natur.
Kristians Mundwinkel zuckten ein wenig, als ihm die Absurdität des Ganzen zu Bewusstsein kam. Die Krankenhausdisziplin war, soweit es die Pflegerinnen betraf, eine einzige Farce, während den Patienten in diesem Punkt kein Spielraum gelassen wurde. Jeder, der sich ungehörig benahm, der obszöne oder gotteslästerliche Ausdrücke benutzte, sich mit Patienten des anderen Geschlechts einließ oder sich auf einem anderen Gebiet etwas zuschulden kommen ließ, wurde bestraft, indem man ihm eine oder sogar mehrere Mahlzeiten verwehrte. Trunkenheit wurde unerbittlich mit dem Verlust von Vorrechten geahndet und führte, wenn sie zum wiederholten Male vorkam , zur Entlassung aus dem Hospital. Patienten, die man beim Spiel um Geld ertappte, wurden sofort auf die Straße gesetzt, egal, ob sie geheilt waren oder nicht.
Bei den Krankenpflegerinnen war Trunkenheit etwas ganz anderes. Ein Teil ihres Lohns wurde ihnen in Portwein ausgezahlt, und sie waren im Allgemeinen genau die Sorte Frau, von der man nichts anderes erwartete. Welche anderen Frauen hätten sich schon dafür hergegeben, Böden zu schrubben, Nachttöpfe zu leeren, Feuer zu schüren und schwere Eimer zu schleppen? Und wer außer einem Wahnsinnigen würde solchen Frauen gestatten, einem Arzt bei der Ausübung seines ehrenwerten Berufs zur Hand zu gehen?
Hester entfernte sich in Richtung Vorratslager der Apotheke, während Callandra allein mit Kristian im Korridor zurückblieb.
»Haben Sie Neuigkeiten von Miss Nightingale?«, fragte Kristian, der sich nun anschickte, zu den Aufenthaltsräumen der Chirurgen zu gehen.
»Es ist sehr schwierig«, antwortete Callandra und wählte ihre Worte sehr vorsichtig. Wie Hester kannte auch sie die Realität hinter dem idealisierten Bild der Krimiheldin. In dieser Realität hatten weder Sentimentalität noch leise Worte
Weitere Kostenlose Bücher