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In feinen Kreisen

In feinen Kreisen

Titel: In feinen Kreisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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verabscheuenswert?«
    »Natürlich tue ich das! Tut das nicht jeder zivilisierte Mensch?«
    »Wenn es sich um ein gesundes Kind handelt und eine gesunde Mutter, ja, wahrscheinlich«, stimmte Rathbone zu.
    »Aber dann erzählen Sie uns doch, Mr. Campbell, warum Sie diese Frau in Ihrem Haus untergebracht haben – sodass Ihre Spülmagd ihr auf einem Tablett die Mahlzeiten bringen musste?«
    Campbell zögerte, dann hob er ratlos die Hände. »Wenn – wenn das so war, geschah es ohne mein Wissen. Die Dienstboten… vielleicht empfanden sie… ich weiß nicht… Mitleid…« Er brach ab. »Falls das tatsächlich je vorgekommen sein sollte«, fügte er hinzu.
    Tobias übernahm die Befragung des Zeugen, fasste sich jedoch sehr kurz.
    »Geschah das alles mit Ihrem Wissen oder Ihrer Billigung, Mr. Campbell?«
    »Natürlich nicht!«
    Das Gericht vertagte sich für die Mittagspause.
    Die Familie von Flora Bailey traf ein. Rathbone rief ihren Bruder, einen angesehenen Arzt, als seinen ersten Zeugen des Nachmittags auf.
    Auf der Galerie waren alle Plätze besetzt. Es hatte sich wie ein Lauffeuer verbreitet, dass neue Entwicklungen zu erwarten waren.
    »Dr. Forbes«, begann Rathbone, »Ihre Schwester verbrachte einige Zeit im Haus von Mr. Aiden Campbell, direkt vor ihrem Verschwinden. Wussten Sie davon?«
    »Nein, Sir, ich wusste es nicht. Ich wusste nur, dass sie einen Fall hatte, der ihr sehr wichtig war, der aber gleichzeitig sehr diskret behandelt werden musste. Die werdende Mutter war sehr jung, kaum mehr als ein Kind, und der Auftraggeber meiner Schwester, wer immer er war – legte größten Wert darauf, dass sowohl die junge Mutter als auch das Kind die beste Pflege bekamen. Das Kind war trotz der Umstände sehr erwünscht. Das ist alles, was sie mir erzählte.«
    Rathbone war verwirrt. »Das Kind war erwünscht?«
    »So habe ich es von meiner Schwester gehört.«
    »Und kam es gesund zur Welt?«
    »Das kann ich nicht sagen. Ich habe meine Schwester nie wieder gesehen.«
    »Vielen Dank, Dr. Forbes. Darf ich noch zum Ausdruck bringen, wie sehr ich den Grund bedaure, der Sie hierher führt.«
    »Vielen Dank«, erwiderte Forbes förmlich.
    »Dr. Forbes, eine letzte Frage noch. Hatte Ihre Schwester eine Meinung zum Thema Abtreibung?«
    »Eine sehr klare Meinung«, antwortete Forbes. »Sie war leidenschaftlich dagegen, auch wenn sie durchaus Mitleid empfand mit Frauen, die bereits mehr Kinder hatten, als sie ernähren und versorgen konnten. Nicht weniger groß war ihr Mitleid mit unverheirateten Frauen oder selbst solchen, die missbraucht oder vergewaltigt worden waren. Sie konnte sich jedoch nie dazu durchringen, eine Abtreibung zu befürworten. Es war für sie eine Frage religiöser Prinzipien.«
    »Dann hätte sie also selbst auf keinen Fall eine Abtreibung vorgenommen?«
    »Niemals!« Forbes’ Gesicht war gerötet und spiegelte Empörung wider. »Wenn Sie an meinen Worten zweifeln, Sir, kann ich Ihnen ein Dutzend Berufskollegen nennen, die das Gleiche über meine Schwester sagen werden.«
    »Ich habe nicht den geringsten Zweifel an Ihren Worten, Dr. Forbes, ich wollte lediglich, dass Sie selbst es aussprechen, damit das Gericht es hört. Ich danke Ihnen für Ihre Geduld. Ich habe keine weiteren Fragen.«
    Tobias erhob sich halb von seinem Platz, dann setzte er sich wieder. Er warf Rathbone einen Blick zu, in dem sich zum ersten Mal Unbehagen, ja sogar Furcht spiegelten.
    Wieder herrschte absolute Stille im Saal. Niemand bemerkte, dass Harry Stourbridge sich erhob. Als er zu sprechen begann, wandten sich aller Augen ihm zu.
    »Euer Ehren«, begann er und räusperte sich. »Ich habe von Anfang an die Beweisführung des Gerichts verfolgt. Ich glaube, ich kenne jetzt die Wahrheit. Sie ist schrecklich, aber sie muss ans Licht gebracht werden, oder es wird ein nicht wieder gutzumachendes Unrecht geschehen. Zwei Frauen würden gehängt werden, die unschuldig sind.«
    Die Stille war spannungsgeladen wie die Luft vor einem Unwetter.
    »Wenn Sie über Informationen verfügen, die für diese Verhandlung von Belang sind, dann sollten Sie noch einmal in den Zeugenstand treten, Major Stourbridge«, erwiderte der Richter. »Ich möchte Sie nur daran erinnern, dass Sie immer noch unter Eid stehen.«
    »Ich bin mir dessen bewusst, Euer Ehren«, antwortete Stourbridge und ging langsam durch den Saal und die Treppe zum Zeugenstand hinauf. Er wartete, bis der Richter ihm ein Zeichen gab, dann begann er mit heiserer Stimme zu sprechen.
    »Ich

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