In feinen Kreisen
komme aus einer Familie, die über beträchtliches Vermögen verfügt, das zum größten Teil aus Ländereien und Besitztümern besteht. Wir verfügen über ein ausreichendes Einkommen, um die Güter zu unterhalten und einen mehr als behaglichen Lebensstil zu pflegen. Unser gesamter Besitz ist jedoch Erbgut, schon seit Generationen. Ich habe es von meinem Vater geerbt und ich werde es an meinen Sohn weitergeben.«
Er hielt einen Augenblick inne, als müsse er neue Kraft sammeln. Nirgendwo im Saal war auch nur das leiseste Geräusch zu hören. Alle Anwesenden begriffen, dass sie einen Mann vor sich hatten, der von widerstrebenden Gefühlen bewegt wurde, einen Mann, der sich mit einer Wahrheit konfrontiert sah, die sein Leben zerstört hatte.
»Wenn ich keinen Sohn gehabt hätte«, fuhr er mit einiger Mühe und mit zitternder Stimme fort, »so wäre der Besitz an meinen jüngeren Bruder übergegangen.« Wieder musste er eine Pause machen. »Meine Frau hatte große Mühe, ein Kind auszutragen. Wieder und wieder empfing sie und hatte dann während der ersten Monate eine Fehlgeburt. Wir hatten beinahe die Hoffnung aufgegeben, als sie mich in Ägypten besuchte, wo ich in der Armee diente. Es war ein gefährliches Kommando, einerseits wegen der Kämpfe, andererseits wegen der Gefahr, sich eine Krankheit zuzuziehen. Ich machte mir große Sorgen um sie, aber sie war entschlossen, mich dort zu besuchen, um jeden Preis.«
Jetzt, da er zu sprechen begonnen hatte, überschlugen sich seine Worte fast. Es herrschte vollkommene Ruhe im Saal.
»Sie blieb über einen Monat.« Seine Stimme brach. »Es schien ihr zu gefallen. Dann kehrte sie mit einem Schiff über den Nil nach Alexandria zurück. Ich hatte viel Zeit, immer und immer wieder darüber nachzudenken, was geschehen sein musste, und zu verstehen, warum meine Frau getötet wurde. Sie war eine großzügige Frau, die niemandem jemals Schaden zugefügt hätte.« Er sah verwirrt aus. »Und warum Miriam, die wir alle so sehr ins Herz geschlossen hatten, ihr etwas Böses hätte wünschen sollen.
Ich versuchte mir ins Gedächtnis zu rufen, was während des Abendessens gesagt wurde. Verona hatte von Ägypten gesprochen und von ihrer Rückreise auf dem Nil. Lucius fragte sie nach einem bestimmten Ausflug und sie sagte, sie hätte gern daran teilgenommen, sei aber nicht dazu in der Lage gewesen, weil sie sich nicht wohl gefühlt hätte. Sie tat das Ganze als belanglos ab, nicht mehr als eine ganz und gar alltägliche Unpässlichkeit, die der Vergangenheit angehörte.«
Sein Gesicht war sehr blass. Er sah Lucius an. »Es tut mir so Leid«, sagte er rau. Dann wandte er den Blick wieder nach vorn.
»Gestern Abend habe ich ihr Tagebuch aus jener Zeit gelesen und den Eintrag über jenen Tag gefunden, an dem sie von dem Schmerz geschrieben hatte und von ihrem Unwohlsein; und dann waren ihr Aidens tröstende Worte wieder eingefallen, dass alles gut werden würde, wenn sie nur nicht den Mut verlöre und niemandem davon erzähle. Und sie hatte genau das getan, was er gesagt hatte.« Seine Stimme war nur noch ein Flüstern. »Und da endlich verstand ich.«
Rathbone stellte fest, dass er den Atem anhielt, so gebannt war er von Harry Stourbridges Schilderung und der gepressten, gequälten Stimme.
»Als sie wieder in England war«, fuhr Stourbridge fort , »schrieb sie mir, dass sie während ihres Aufenthalts von mir ein Kind empfangen habe, dass sie sich sehr wohl fühle und hoffe, dass sie es diesmal bis zur Geburt würde austragen können. Ich war überglücklich, mehr noch für sie als für mich selbst.«
Auf der Galerie schluchzte eine Frau, offensichtlich von Mitleid überwältigt.
Rathbone blickte zu Miriam hinauf. Sie sah aus, als habe sie den Tod von Angesicht zu Angesicht gesehen.
Harry Stourbridge nahm weder sie noch Lucius oder Aiden Campbell wahr, sondern starrte vor sich hin, gebannt von einem Bild der Vergangenheit, das nur er sehen konnte.
»Nach einiger Zeit hörte ich, dass das Kind geboren worden sei, ein gesunder Junge, mein Sohn Lucius. Ich war der glücklichste Mensch auf Erden. Kurz darauf kehrte ich nach England zurück und sah ihn das erste Mal. Er war wunderschön und meiner Frau so ähnlich.« Er konnte nicht fortfahren und brauchte eine Weile, um seine Stimme auch nur halbwegs wieder unter Kontrolle zu bringen. Als er wieder sprach, kamen seine Worte als ein heiseres Flüstern über seine Lippen.
»Ich liebte ihn so sehr – ich liebe ihn noch immer. Die
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