In feinen Kreisen
sie ihren wirklichen Namen?
Vielleicht sah sie etwas in seinen Augen aufblitzen, eine Art von Verstehen, denn ihre Abwehr ließ ein wenig nach. »Sie war fast von Sinnen vor Angst, das arme kleine Wesen«, fuhr sie fort. »Sie konnte sich nicht erinnern, was passiert war.«
Cleo Anderson hatte sie bei sich aufgenommen und sie großgezogen, bis sie eine achtbare und so wie es schien glückliche Ehe mit einem reputablen Herrn aus der Nachbarschaft eingegangen war. Dann war sie Witwe geworden, hatte aber über genügend finanzielle Mittel verfügt, um recht zufrieden zu leben… bis sie bei einem Spaziergang durch Hampstead Heath Lucius Stourbridge getroffen hatte.
Aber es waren die Ereignisse von vor einer Woche, die zählten, und die Frage, wo Miriam jetzt sein konnte.
»Kannten Sie James Treadwell?«, fragte Monk Cleo Anderson.
Ihre Antwort kam sofort. »Nein.«
Sie war zu schnell, aber er wollte sie nicht mit seinem Verdacht konfrontieren. Er musste ihr Zeit lassen, ihre Meinung zu ändern.
»Sie waren also alles, was Miriam nach dem Unfall an Familie hatte.« In seiner Stimme schwang aufrichtige Bewunderung mit.
»Das ist wahr«, stimmte sie sanft zu. »Und sie war für mich wie das eigene Kind, das ich nie hatte. Und niemand hätte sich eine bessere Tochter wünschen können.«
»Dann müssen Sie also sehr glücklich gewesen sein, als sie einen guten Mann wie Mr. Gardiner heiratete«, bemerkte er.
»Natürlich. Und er war wirklich ein guter Mann! Ein wenig älter als Miriam, aber er hat sie geliebt, wirklich. Und sie mochte ihn ebenfalls.«
»Es muss sehr angenehm für Sie gewesen sein, dass Miriam nach ihrer Verheiratung in der Nähe blieb.«
Sie lächelte. »Natürlich. Aber es ist mir egal, wo sie lebt, so lange sie nur glücklich ist. Und sie liebt Mr. Lucius mehr, als ich Ihnen sagen kann. Ihr Gesicht leuchtete auf, wenn sie nur seinen Namen aussprach.« Diesmal brach sie in Tränen aus.
»Was ist passiert, Mrs. Anderson?«, fragte Monk beinahe flüsternd.
»Ich weiß es nicht.«
Im Grund hatte er gar nichts anderes erwartet. Diese Frau schützte das einzige Kind, das sie großgezogen und geliebt hatte.
»Aber Sie müssen Treadwell gesehen haben, wenn auch nur aus der Ferne, wenn Miriam Sie besuchte«, beharrte er.
Sie zögerte nur einen Moment. »Ich habe einen Kutscher gesehen, mehr nicht.«
Das konnte die Wahrheit sein. Vielleicht war Treadwell hierher gekrochen, weil er von Miriam erfahren hatte, dass Cleo Krankenschwester war.
Wer hatte Treadwell getötet… und warum? Warum hier?
»Was haben Sie Sergeant Robb erzählt?«, fragte er.
Ihre Haltung entspannte sich ein wenig. Sie trug ein schlichtes, beinahe uniformähnliches Kleid, wie er es Hester im Dienst oft hatte tragen sehen. Das Gefühl der Vertrautheit, das es in ihm weckte, gab ihm einen Stich.
»Das gleiche, das ich Ihnen sage«, antwortete sie. »Ich habe Miriam nicht mehr gesehen, seit sie zu ihrem Besuch bei Mr. Lucius und seiner Familie aufgebrochen ist. Ich weiß nicht, wo sie sich jetzt befindet, und ich habe keine Ahnung, was dem Kutscher zugestoßen ist oder von wem und warum er getötet wurde – ich kann nur sagen, dass ich Miriam kenne, seit sie ein kleines Mädchen war, und ich habe nie erlebt, dass sie die Beherrschung verlor oder gegen jemanden die Hand erhoben hätte, und darauf würde ich mein Leben verwetten.«
Monk glaubte ihr, zumindest was den letzten Teil ihrer Aussage betraf. Er akzeptierte es, dass sie Miriam für unschuldig hielt. Was er allerdings stark bezweifelte, war ihre Behauptung, nicht zu wissen, wo Miriam sich gegenwärtig aufhielt. Wenn mit Miriam alles in Ordnung gewesen wäre, wäre sie zweifellos nicht auf diese Weise aus dem Haus der Stourbridges geflohen, und sie hätte sich mit Sicherheit bei Lucius gemeldet. Wenn sie in Schwierigkeiten steckte, ganz gleich welcher Art, hätte sie sich als Erstes an Cleo Anderson gewandt, die Frau, die sie einst gerettet hatte.
»Ich hoffe, Sie werden nichts Derartiges tun müssen«, erwiderte er ernst, dann wünschte er ihr, ohne weitere Fragen zu stellen, eine gute Nacht.
Ein paar Häuser weiter kaufte er einem Straßenhändler ein Sandwich ab und plauderte ein wenig mit dem Mann, während er aß. Dann nahm er einen Omnibus zurück in die Fitzroy Street und war dankbar, sich endlich setzen zu können, so überfüllt das schwankende Gefährt auch war.
Er ließ seinen Gedanken freien Lauf. Wohin konnte Miriam sich wenden? Sie hatte Angst. Sie
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