Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
In feinen Kreisen

In feinen Kreisen

Titel: In feinen Kreisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
Vom Netzwerk:
verstecken werden. Wenn Mr. Stourbridge der Freund ist, der er zu sein behauptet, wird er sie in Ruhe lassen. Sie finden sicher selbst hinaus.« Sie hielt noch immer den Kessel in der Hand, aus dem Dampf quoll. Es war nicht direkt eine Drohung, aber Monk deutete ihre Geste richtig.
    Er erhob sich, warf einen letzten Blick auf Miriam und ging dann zur Tür. Erst da fiel ihm Robb wieder ein, und er änderte seine Meinung. Der Eingang durch die Küche führte wahrscheinlich in einen Kohlenkeller und von dort aus weiter in eine Gasse jenseits der Hauptstraße.
    »Ich werde Mr. Stourbridge mitteilen, dass Sie gesund und wohlauf sind«, sagte er leise. »Mehr nicht. Aber die Polizei ist mir dicht auf den Fersen. Ich bin dem Sergeant, der mit dem Fall betraut ist, in den letzten zwei Tagen ständig begegnet.«
    Mrs. Whitbread verstand, was er damit sagen wollte. Sie nickte. »Gehen Sie nach links«, wies sie ihn an. »Dann kommen Sie wieder auf die Straße. Passen Sie auf, dass Sie nicht über die Ascheneimer stolpern.«
    »Und mehr hat sie nicht gesagt?« Hester sah ihn ungläubig an, als er ihr berichtete, was er erlebt hatte. Sie saßen in dem behaglichen Raum, in dem er seine Klienten empfing und der ihnen gleichzeitig als Wohnzimmer diente. Die Fenster standen offen, um die warme Abendluft einzulassen. Man konnte das Rascheln der Blätter von einem Baum in der Nähe hören und in der Ferne das gelegentliche Klappern von Hufen, wenn ein Wagen über die Straße rollte.
    »Nein«, antwortete er und sah zu ihr hinüber. Sie hatte keine Näharbeit auf dem Schoß, wie es bei anderen Frauen vielleicht der Fall gewesen wäre. Sie griff nur dann zur Nadel, wenn es nicht zu vermeiden war. Sie konzentrierte sich ganz auf seinen Bericht, mit geradem Rücken und aufmerksamem Blick.
    »Wie war sie denn?«, fragte sie.
    Er zuckte zusammen. »Wie sie war?«
    »Ja«, sagte sie ungeduldig. »Sie hat dir keinerlei Erklärungen gegeben! Hat sie dir nicht gesagt, warum sie aus Kensington weggegangen ist? Du hast sie doch gefragt, nehme ich an?«
    Er hatte sie nicht gefragt. An dem Punkt wusste er bereits, dass sie es ihm nicht sagen würde.
    »Du hast es nicht getan!« Hesters Stimme wurde eine Oktave höher.
    »Sie hat sich standhaft geweigert, irgendetwas preiszugeben«, erwiderte er. »Nur dass sie nicht dabei war, als Treadwell getötet wurde. Ich glaube, sie wusste nicht einmal, dass er tot war. Als ich es ihr mitteilte, war sie so entsetzt, dass es ihr die Stimme verschlug. Es fehlte nicht mehr viel, und sie wäre in Ohnmacht gefallen.«
    »Sie weiß etwas darüber!«, sagte Hester sofort.
    Das war eine unbegründete Schlussfolgerung und doch hatte er den gleichen Eindruck gehabt. Er sah Hester an und lächelte unglücklich.
    »Das heißt, du hast nichts Neues erfahren«, sagte sie.
    »Ich habe immerhin erfahren, dass Mrs. Whitbread sie notfalls mit Gewalt verteidigt hätte. Außerdem hätte sie für Miriam sogar Ärger mit der Polizei auf sich genommen«, stellte er fest. »Und dann wäre da noch die Tatsache, dass Robb sie mit ziemlicher Sicherheit früher oder später finden wird.«
    »Also, wie war sie?«, fragte sie noch einmal.
    Er machte keine Ausflüchte, keine Bemerkung über die Unergründlichkeit weiblicher Logik.
    »Ich habe nie jemanden gesehen, der solche Angst hatte«, antwortete er aufrichtig, »oder solche Qualen litt. Aber ich glaube nicht, dass sie mir – oder irgendjemandem sonst – erzählen wird, was geschehen oder warum sie weggelaufen ist. Lucius Stourbridge wird es auf keinen Fall erfahren.«
    »Was wirst du tun?« Ihre Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
    Plötzlich wurde ihm klar, dass er seine Entscheidung bereits getroffen hatte.
    »Ich werde Stourbridge mitteilen, dass ich sie gefunden habe, dass sie wohlauf ist und dass sie versichert, nichts mit Treadwells Tod zu tun zu haben, aber ich werde ihm nicht verraten, wo sie sich aufhält. Außerdem wird sie, bis ich ihm Bericht erstatte, kaum mehr dort sein. Ich habe sie gewarnt, dass Robb mir dicht auf den Fersen ist.« Er brauchte nicht zu erwähnen, welches Risiko er mit dieser Warnung eingegangen war. Hester wusste es.
    »Die arme Frau«, sagte sie leise. »Die arme Frau.«

5
    Es war der sechste Tag, an dem Monk versuchte, die Umstände von Miriam Gardiners Flucht aufzuklären. Hester hatte beim Einschlafen über sie nachgedacht und sich gefragt, was für eine Tragödie die Frau zu dieser Handlung getrieben hatte. Warum konnte sie nicht darüber

Weitere Kostenlose Bücher