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In feinen Kreisen

In feinen Kreisen

Titel: In feinen Kreisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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erklären, dass sie aus solchen Dingen wertvolle Informationen gewinnen konnte. Mit strahlendem Blick hatte sie von den Rückschlüssen gesprochen, die man aus solchen Dingen ziehen konnte, von Erfahrungen, die zu machen waren, von Fehlern, die man aufdecken und vielleicht korrigieren konnte. Es starben Menschen, die nicht hätten sterben müssen, – es gab Schmerzen, die sich vermeiden ließen. Aber die Armee schenkte ihrer Arbeit keine Beachtung, genauso Fermin Thorpe.
    Und hier lag sie warm und behaglich im Bett, während Monk an ihrer Seite schlief. Sie hatte immer noch das Bedürfnis, ihn zu wecken und mit ihm zu reden – nein, das stimmte nicht ganz, sie wollte im Grunde, dass er mit ihr redete. Sie wollte seine Stimme hören.
    Sie wäre gern aufgestanden, um etwas zu tun, das sie von ihren Gedanken ablenkte, aber dann hätte sie ihn gestört. Also blieb sie still liegen und verfolgte das Muster, welches das Sonnenlicht an die Decke zeichnete, bis sie nach einer Weile wieder einschlief.
    Als sie zum zweiten Mal erwachte, rüttelte Monk sie sanft an der Schulter. Sie hatte das Gefühl, aus einem tiefen Brunnen emporgeklettert zu sein, und ihr Kopf schmerzte noch immer.
    Sie erwiderte sein Lächeln und zwang sich, eine fröhliche Miene zu machen. Wenn er etwas Gezwungenes darin wahrnahm, so sprach er es jedenfalls nicht aus. Vielleicht war er in Gedanken bereits bei Miriam Gardiner und überlegte, wie er ihr helfen konnte und was er zu Lucius Stourbridge sagen sollte.
    Es war bereits spät am Vormittag, als Hester im Hauptkorridor auf Fermin Thorpe traf.
    »Ah, guten Morgen, Miss – Mrs. Monk«, begrüßte er sie und blieb stehen. »Wie geht es Ihnen heute?« Er sprach sofort weiter, damit sie ihn nicht mit einer Antwort unterbrechen konnte. »Um auf Ihren Wunsch zurückzukommen, Frauen für die Krankenpflege auszubilden, habe ich mir eine Ausgabe von Mr. J. F. South’ Buch besorgt, das vor drei Jahren erschienen ist. Ich bin sicher, es wird Sie sehr interessieren.« Er lächelte und sah ihr direkt in die Augen.
    Ein Medizinstudent ging an ihnen vorbei, den Thorpe nicht beachtete – ein Gradmesser für die Ernsthaftigkeit seiner Absichten.
    »Sie wissen vielleicht nicht, wer er ist, daher werde ich es Ihnen sagen, damit Sie das, worüber er schreibt, richtig beurteilen können.« Er straffte die Schultern und hob das Kinn.
    »Er ist Chefchirurg des St.-Thomas-Hospitals und mehr noch, er ist der Präsident des Kollegiums für Chirurgie.« Er verlieh diesen Worten besonderen Nachdruck, damit sie nur ja deren Bedeutung erfasste. »Ich zitiere, Miss -Mrs. Monk, er ist…« Seine Stimme wurde an dieser Stelle noch eindringlicher – »›ganz und gar nicht geneigt einzuräumen, dass die Pflegeeinrichtungen in unseren Hospitälern unzureichend sind oder dass sie durch eine spezielle Ausbildungsinstitution zu verbessern wären‹. Ferner weist er darauf hin, dass selbst Schwestern, die mit der Leitung von Stationen betraut sind, nur durch Erfahrung lernen können.« Er lächelte sie mit wachsendem Selbstvertrauen an. »Krankenpflegerinnen selbst sind Untergebene in der Position von Hausmädchen und brauchen nur die simpelsten Anweisungen zu erhalten.«
    Zwei Krankenschwestern kamen an ihnen vorüber, die Gesichter gerötet vor Anstrengung, die Ärmel hochgekrempelt.
    Hester wollte protestieren, aber er ließ sie nicht zu Wort kommen und hob ein wenig die Stimme. »Ich weiß selbstverständlich von Miss Nightingales Fond zur Ausbildung junger Frauen, aber ich muss Sie davon in Kenntnis setzen, Madam, dass sich unter den Anhängern dieser Idee nur drei Chirurgen und zwei praktische Ärzte befinden. Das allein dürfte als unfehlbares Zeichen für die Meinung dieses Berufsstandes angesehen werden, dem die qualifiziertesten und erfahrensten Männer dieses Landes angehören. Und nun, Mrs. Monk«, er sprach ihren Namen klar und deutlich aus, um zu zeigen, dass er ihn sich endlich gemerkt hatte, »nun baue ich darauf, dass Sie Ihre beträchtlichen Energien auf das Wohlergehen der Krankenschwestern und auch der Patienten hier konzentrieren werden, und auf Ihren Gehorsam den Ärzten gegenüber. Auf Wiedersehen.« Ohne ihre Antwort abzuwarten, ging er mit großen Schritten auf den Operationssaal zu, davon überzeugt, das Thema ein für alle Mal aus der Welt geschafft zu haben.
    Hester war einige Sekunden lang sprachlos vor Wut. Dann ging sie in die entgegengesetzte Richtung, wo das Wartezimmer der praktischen Ärzte

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