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In feinen Kreisen

In feinen Kreisen

Titel: In feinen Kreisen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anne Perry
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sprechen, nicht einmal mit dem Mann, den sie heiraten wollte?
    Aber das war es nicht, was sie weckte. Sie spürte ein Pochen im Kopf und hatte plötzlich ein übermächtiges Gefühl von Angst, das Gefühl, dass etwas Schreckliches passieren würde, das sie nicht verhindern konnte und dem sie nicht gewachsen war.
    Neben ihr lag Monk in tiefem Schlaf, das Gesicht im klaren Licht des frühen Tages entspannt und friedlich. Er nahm sie so wenig wahr, als hätten sie sich in getrennten Räumen aufgehalten, in verschiedenen Welten.
    Es war nicht das erste Mal, dass sie mit diesem Gefühl der Hilflosigkeit und Erschöpfung aufwachte, und doch konnte sie sich nie daran erinnern, wovon sie geträumt hatte.
    Sie sollte Monk wecken, mit ihm reden, von ihm hören, dass es bedeutungslos sei, irreal, und der Welt des Schlafes angehöre. Aber das wäre selbstsüchtig gewesen. Er erwartete mehr Kraft von ihr und würde enttäuscht sein, und das konnte sie nicht ertragen. Sie lag da, starrte an die Decke und fühlte sich unendlich allein, denn mit diesem Gefühl war sie erwacht, und sie konnte es nicht beiseite drängen. Da war etwas, vor dem sie fliehen wollte, aber sie wusste, dass es keine Flucht gab. Es war überall um sie herum.
    Das Licht, das durch den Spalt zwischen den Vorhängen drang, wurde langsam heller. In etwa einer Stunde musste sie aufstehen. Beschäftige dich mit dem, was vor dir liegt, beschloss sie. Es war immer besser, etwas zu tun zu haben. Schließlich gab es viele Kämpfe, die es wert waren, ausgefochten zu werden. Sie musste noch einmal mit Fermin Thorpe sprechen. Mit Vernunft war dem Mann nicht beizukommen, denn er fürchtete sich vor Veränderungen, fürchtete sich davor, die Kontrolle zu verlieren und damit etwas von seiner Bedeutung einzubüßen.
    Es würde wahrscheinlich weiterer endloser Briefe bedürfen, von denen nur wenige je eine zufrieden stellende Antwort erhielten.
    Florence Nightingale war an ihr Haus gefesselt, einige meinten sogar, an ihr Bett, und sie brachte fast ihre ganze Zeit mit dem Verfassen von Briefen zu.
    Natürlich hatten ihre Briefe viel bewirkt. In den vier Jahren seit Ende des Krieges hatten sie große Veränderungen herbeigeführt, vor allem was die Bauweise der Hospitäler betraf. Zuerst hatte ihre Aufmerksamkeit natürlich Militärhospitälern gegolten, und ihre Erfolge hatte sie schließlich trotz eines Regierungswechsels, durch den sie ihren Hauptverbündeten verlor, errungen. Jetzt konzentrierte sie ihre Willenskraft auf zivile Krankenhäuser und, genau wie Hester, auf die Ausbildung der Krankenschwestern. Aber es war ein Kampf gegen halsstarrige und eingefleischte Ansichten mächtiger Stellen. Fermin Thorpe war lediglich einer der vielen führenden Mediziner im Land, ein typischer Vertreter seines Berufsstands.
    Und die Gesundheit der armen Florence hatte sich seit ihrer Rückkehr verschlechtert. Hester machte es zu schaffen, diese Tatsache zu akzeptieren. In Scutari hatte Florence Nightingale den Eindruck erweckt, über unerschöpfliche Kräfte zu verfügen – sie war keine Frau, die sich Ohnmachtsanfällen hingab oder über Herzklopfen und allgemeine Erschöpfung klagte. Und doch schien jetzt genau das der Fall zu sein! Mehrfach hatte ihr Leben am seidenen Faden gehangen. Ihre Familie durfte sie nicht mehr besuchen, weil man befürchtete, eine solche Aufregung könnte zu viel für sie sein. Freunde und Bewunderer gaben ihre eigene Beschäftigung auf, um für sie zu sorgen.
    Aber in letzter Zeit schien sie sich erholt zu haben und sprudelte förmlich über von neuen Ideen. Sie hatte die Einrichtung einer Schule zur Ausbildung von Krankenschwestern vorgeschlagen und ging systematisch gegen die Gegner dieser Idee vor. Es hieß, nichts bereite ihr so viel Vergnügen wie eine Statistik, die beweisen konnte, wie wichtig sauberes Wasser und gute Belüftung für die Genesung eines Patienten waren.
    Hester lächelte, als sie im Geist Florence in der heißen türkischen Sonne sah, wie sie einem Armeesergeant befahl, ihr seine Zahlen bezüglich der Toten der vorherigen Woche zu bringen. Sie wollte das Datum wissen, an dem sie ins Hospital eingeliefert wurden, die Art ihrer Verletzungen und die Todesursache. Der arme Mann war so erschöpft gewesen, dass er nicht einmal protestiert hatte. Er hielt es für eine sinnlose Aufgabe, und nur sein Mitgefühl mit den Kameraden und sein Anstandsgefühl hatten ihn dazu gebracht, ihr widerstrebend zu gehorchen. Florence hatte versucht, ihm zu

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