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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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dachte Shandy in jäher Panik, er benutzt sie als Ablenkung; er hat sie wahrscheinlich bereits vergewaltigt, und jetzt wird er sie in Brand stecken oder irgendetwas, nur um Hurwood abzulenken.
    Shandy lief über das vom Blut schlüpfrige Deck auf sie zu, ohne zu bemerken, dass einer der toten Männer zwischen ihm und der dachlosen Kajüte in geduckter Haltung lauerte, das grüne Entermesser zum Stoß bereit.
    Doch Davies sah es. » Verdammt, Jack«, platzte er erschöpft heraus und sprang los, um den nekrotischen Seemann vor Shandy zu erreichen.
    Venner – sein Hemd war zerrissen, sein rotes Haar durch das Blut einer langen Kopfwunde noch röter, und sein gewohnheitsmäßiges, aufreizendes Grinsen hatte einer Grimasse verzweifelter Anstrengung Platz gemacht – erfasste die Situation mit einem Blick. Er trat Davies mit Bedacht in den Weg und rammte dem älteren Mann seine massige Schulter in die Brust.
    Davies taumelte und hatte nach dem Aufprall Mühe, Luft zu holen, aber er zwang sich weiterzulaufen, nachdem er Venner einen kurzen Blick voller Zorn und Verheißung zugeworfen hatte.
    Shandy musste einigen anderen miteinander im Kampf verstrickten Männern ausweichen, bis er sich wieder der emporsteigenden Gestalt von Beth Hurwood zuwenden konnte – und dem geduldigen, immer noch unbemerkt wartenden Toten.
    Davies hatte keine Zeit mehr für ein Täuschungsmanöver; er erreichte den untoten Seemann in vollem Lauf und schwang einfach sein Schwert nach dem Hals der Kreatur.
    Die Klinge schlug eine tiefe Wunde, aber mit seiner verbrannten Hand und noch unter der Wirkung von Venners Rempler hatte Davies es nicht vermocht, den Hieb kräftig genug zu führen, um dem Toten den Kopf ganz abzutrennen. Die toten Augen rollten zu ihm herum, und bevor er sein Schwert wieder frei bekam, wurde ihm das rostige Entermesser tief in den Unterleib gerammt.
    Plötzlich aschfahl keuchte Davies einen Fluch hervor, festigte den Griff der verbrannten Hand um sein Schwert und stieß die Klinge mit einer krampfartigen Bewegung, die ebenso ein Schaudern wie ein Angriff war, mit letzter Kraft durch den gummiartigen grauen Hals und sägte den Kopf vollends ab.
    Die beiden Leichenteile rollten über das Deck davon.
    Shandy hatte das Ganze nicht einmal bemerkt. Jetzt in Beth’ Nähe, ließ er sein Entermesser fallen und spannte jeden Muskel und jede Sehne zu einem Sprung an, aber seine ausgestreckten Finger streiften ungefähr einen Fuß vor ihr einen unsichtbaren Widerstand – obwohl ihre nach unten starrenden Augen für einen Moment flehentlich in seine schauten und ihre Lippen Worte formten, die er nicht hören konnte.
    Dann fiel er, prallte schmerzhaft vom zersplitterten Kajütendach auf das sonnenheiße Deck und wartete dort, vollkommen erschöpft, dass ein oder zwei grüne Klingen ihn auf die Planken nageln würden.
    Aber plötzlich wurden die zum Leben erwachten Kämpfer bleicher, wurden durchscheinender vor dem Hintergrund des hellen Himmels. Das Gewicht der Unterarme des toten Mannes auf seiner Brust verschwand fast zur Gänze.
    Und im selben Moment wurde Shandy klar, dass er auf dem altvertrauten Quarterdeck der Carmichael lag und auf die verstärkten Planken starrte, die er selbst festgebolzt hatte. Er vermutete, dass Friend zu sehr damit beschäftigt war, sich gegen Hurwood zu verteidigen, um den Zauber aufrechtzuerhalten, der ihn mit einer Mannschaft ausgestattet hatte.
    » Ich könnte sie töten«, sagte Friend. Sein konzentriertes Stirnrunzeln glättete sich und er bleckte blutige Zähne zu einem Lächeln.
    Es war Hurwood, der jetzt zauderte, und Friend deutete mit seiner freien Hand auf den alten Zauberer – und eine Feuerkugel, weißglühend selbst in der wolkenlosen Mittagssonne, schoss widerstandslos durch das Rigg gerade auf Hurwood zu.
    Der Einarmige parierte den Angriff mit einem Fuchteln, das die Feuerkugel zur Seite und in die Jenny wischte, wo sie mit erschrockenen Schreien empfangen wurde. Hurwood sackte einige Schritt nach unten, fing sich dann federnd ab, wimmerte und streckte die Hand nach seiner Tochter am anderen Ende des Mitteldecks aus. Beth schwebte langsam zu seinem Gegner empor. Jetzt flackerte überhaupt kein Feuer mehr um Friend herum; der Fettsack grinste und wirkte vom Triumph förmlich aufgebläht, wie ein grotesker, losgelassener Heißluftballon.
    Der junge Magier atmete tief ein, lehnte sich zurück und streckte die Arme zu beiden Seiten aus.
    Dann war die Luft trotz der starken Brise widerlich

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