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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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ein Bein hinüberschwang, aber trotz seiner Sorge um Beth Hurwood hockte er, nachdem er sich unter Schmerzen hochgezogen hatte, einfach sekundenlang da und sah sich um.
    Von dem spanischen Schiff sah er lediglich ein Gewirr von zersplitterten Rahen und verhedderter Takelage. Aber Shandys Aufmerksamkeit galt seiner unmittelbaren Umgebung. Das Schiff, an dessen Reling er sich klammerte, war einfach nicht die Carmichael. Das Hauptdeck war breiter, aber kürzer, und es gab zwei Poopdecks, eines über und hinter dem anderen, und die Kanonen standen auf dem Hauptdeck statt darunter im Batteriedeck. Besonders misslich allerdings war der Anblick der Besatzung dieses Schiffes.
    Die Seeleute bewegten sich unbeholfen, ihre Haut hatte die Farbe von Sahne auf Pilzsuppe, und ihre Augen waren von dem milchigen Weiß, das bei Fischen darauf hinwies, dass sie zu lange tot waren.
    Die meisten dieser schlecht wiederbelebten Seeleute stürzten zur Backbordreling, wo eine Menge ähnlich zerschundener Matrosen über die zertrümmerte Reling das Schiff enterten.
    Shandy verspürte den dringenden Wunsch, zurück ins Wasser zu springen. Er hatte Dinge wie diese in seinen schrecklichsten Kindheitsträumen gesehen, und er war sich nicht sicher, ob er nicht selbst tot umfallen würde, wenn eine dieser Kreaturen ihren grauenvoll wissenden Blick auf ihn richtete.
    Dann merkte er, dass sie ihn durchaus wahrnahmen, denn mehrere von ihnen kamen mit ihren unheimlich tappenden, aber dennoch raschen Schritten auf ihn zu und schwangen rostige, aber sonst sehr solide wirkende Entermesser.
    Mit vor Panik schriller Stimme stieß Shandy die ersten Verse des Ave Maria hervor, während er aufsprang, den Säbel zog, eine Parierhaltung einnahm, die Davies ihn hatte üben lassen, und den vielfachen Angriff erwartete; er machte eine Finte, als wolle er zwei seiner Angreifer anfallen, dann sprang er zur anderen Seite, wie Davies es ihm beigebracht hatte, und parierte die Klinge eines anderen Gegners mit einer metallisch kreischenden Korkenzieherbindung, die Shandys Säbel wie ein Fleischmesser in seinen grauen Hals schneiden ließ. Shandy sprang über die beinahe enthauptete Gestalt hinweg und sah, dass mehrere Männer auf ihn zugeschlurft kamen – und dass auf dem nächsten Deck über ihm die zerzauste Gestalt Leo Friends stand, der gleichzeitig zornig und verängstigt wirkte. Friend starrte auf etwas hinter und über Shandy, und nachdem dieser sich seinen nächsten Angreifer mit schnellen Finten und Säbelhieben vom Leib gehalten hatte, riskierte er einen schnellen Blick zurück.
    Benjamin Hurwood hing freischwebend ein Dutzend Schritt schräg über der Schiffsreling in der Luft, das Gesicht von weißem Haar umweht, und lächelte Friend beinahe liebevoll an. » Ich habe Euch mitgenommen«, erklärte der alte Mann, und obwohl er leise sprach, waren seine Worte deutlich zu verstehen, weil der Lärm der kämpfenden Geistermannschaften seit seinem ersten Wort nur noch merklich gedämpft zu vernehmen war. » Ich habe Euch den Weg aus der Sackgasse gewiesen, in die Ihr geraten wart, ich habe Euch den Ort gezeigt, den allein zu entdecken Ihr nicht vermocht habt.« Das Lächeln wurde breiter und begann Ähnlichkeit mit dem eines Totenschädels anzunehmen. » Habt Ihr wirklich gedacht, Ihr wäret mir überlegen, Ihr kämet so weit, dass ich Euch nicht folgen könnte? Ha. Ich bin froh, dass Ihr jetzt Eure verräterische Natur offenbart habt – irgendwann wäret Ihr vielleicht mächtig genug geworden, um mir Schaden zuzufügen.« Er schloss die Augen.
    Andere Piraten waren inzwischen an Bord gekommen, und nach der anfänglichen Überraschung kämpften sie verbissen mit den kadaverartigen Seeleuten und begriffen schnell, dass die Kreaturen gründlich zerstückelt werden mussten, um kampfunfähig gemacht zu werden. Die Kadaver waren auch schnell, auf eine krampfhafte, insektenähnliche Weise, und mehrere von Davies’ Männern wurden in den ersten paar Minuten blutend aufs Deck geworfen.
    Shandy konnte jemanden unter dem Deck, auf dem sich Friend befand, gegen eine Tür schlagen hören, und er vermutete, dass es Beth war, die dort gefangen gehalten wurde. Aber es schien immer schwieriger, auf Deck voranzukommen. Sein Schwertarm wurde müde, und er konnte bald nicht mehr tun, als die Hiebe der Enterbeile zu parieren – er war einfach zu erschöpft, um vorzuspringen und seinen Säbel in einem wirklichen Gegenstoß zur Geltung zu bringen.
    Dann tanzte eine der belebten

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