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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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und wedelte dann wütend damit vor ihrem Gesicht herum.
    » Lasst mich sehen, dass Ihr es esst«, verlangte sie.
    Hicks starrte zweifelnd auf das Stückchen Vegetation, dann warf er es mit einem Schnauben weg, wie zum Zeichen, dass er keine Geduld für kindliche Mutproben hatte.
    » Lasst mich sehen, wie Ihr euch die Finger ableckt«, drängte Beth.
    » Ich … brauche Euch nichts zu beweisen«, erwiderte er.
    » Was soll am Samstag geschehen? Ihr habt etwas über irgendeine ›Prozedur‹ gesagt?«
    Hicks war dankbar, dass die Vorhänge von den Fenstern zugezogen waren, denn er konnte spüren, dass er rot wurde. » Ihr solltet Eure verdammten Medikamente nehmen!«, blaffte er. » Ihr solltet …« schläfrig sein, beendete er den Satz im Geiste; schlafwandlerisch. Nicht hellwach und voller peinlicher Fragen. » Außerdem wird Euer Va… Kapitän Segundo, meine ich, bis dahin beinahe mit Sicherheit hier sein. Also werde ich nicht – was ich meine, ist, dass Ihr es mit ihm ausmachen könnt!«
    Er nickte resolut und machte auf dem Absatz kehrt, um den Raum zu verlassen, aber er verdarb seinen würdevollen Abgang, indem er ein schrilles Kreischen ausstieß und rückwärts sprang, denn die schwarze Krankenschwester hatte lautlos den Raum betreten und stand direkt hinter ihm.
    Beth Hurwood lachte, und die Krankenschwester starrte ihn nur auf ihre gewohnte leere, beunruhigende Art und Weise an, und Hicks ergriff die Flucht und fragte sich, während er hastig um die Schwester herumging, warum das Kleid der Frau immer zugenäht war, statt nur geknöpft, und warum sie, wenn sie so verrückt danach war, Dinge zu nähen, die ausgerissenen Taschen ihres Kleides nicht reparierte, und warum sie immer barfuß ging.
    Außerdem, dachte er, als er sich auf der Treppe entspannte und ein Taschentuch aus seinem Ärmel fischte, um sich die Stirn damit abzutupfen, wüsste er gern, warum andere Schwarze solche Angst vor der Frau hatten. Wahrhaftig, der schwarze Koch, der hier früher beschäftigt gewesen war, hatte nur einen Blick auf sie geworfen und war durch das Fenster im ersten Stock gesprungen! Und nachdem er festgestellt hatte, dass alle Schwarzen sich lieber den ganzen Tag lang auspeitschen ließen, als für eine Sekunde einen Fuß in dieses Haus zu setzen, hatte er Diener einstellen müssen, Weiße. Und selbst von denen hatten inzwischen viele gekündigt.
    Er ging zurück zu seinem Stuhl auf dem Balkon, aber der Friede des Morgens war zerstört, und er schüttete den lauwarmen Tee aus seiner Tasse und füllte sie mit unverdünntem Cognac. Verdammt sei Ulysse und seine » Hilfe«, dachte er. Ich hätte Haiti niemals verlassen und meinen Namen ändern sollen.
    Er nippte an seinem Brandy, zog die Brauen zusammen und dachte daran, wie überzeugend Ulysse Segundo zu Anfang gewesen war. Der Mann war in der ersten Augustwoche in Port-au-Prince eingetroffen und hatte sofort begonnen, Kreditbriefe bei den angesehensten europäischen Banken zu verhandeln. Er hatte einen guten Eindruck gemacht: Er sprach wunderbar französisch, er war kultiviert, gut gekleidet, der Besitzer eines prächtigen Schiffes – das er jedoch weit draußen auf Reede ankern ließ, angeblich wegen einer Frau an Bord, die sich von einem Gehirnfieber erhole.
    Hicks war beeindruckt gewesen von dem augenscheinlichen Wohlstand des Mannes und seiner Unabhängigkeit, als man sie miteinander bekannt gemacht hatte, und einige Tage später, als Segundo mit ihm dinierte und ihm leise anbot, ihn an einigen weniger moralisch, aber dafür um so lukrativer klingenden Investitionen zu beteiligen, war er auch von seinen genauen Kenntnissen des internationalen Geflechts wirtschaftlicher Interessen in der Neuen Welt beeindruckt. Offenbar gab es keine größere Wirtschaftstransaktion und keinen Betrug, der zu alt oder zu obskur war, als dass Segundo nicht davon gewusst und sich dieses Wissen unbarmherzig zunutze gemacht hätte. Hicks hatte gedacht, dass man schon Gedanken lesen oder mit den Toten reden müsse, um einige dieser Dinge zu wissen.
    Und dann, ganz spät an einem Abend Mitte August, war Segundo mit schlechten Neuigkeiten bei Hicks erschienen. » Ich fürchte«, hatte er gesagt, während Hicks ihn schläfrig anblinzelte und einen eilig geweckten Diener nach Brandy schickte, » dass Ihr in Gefahr seid, mein Freund.«
    Der Mann, der sich jetzt Hicks nannte, war erst seit einer Minute wach gewesen, erst seit Segundos mitternächtlichem Hämmern an der Tür, und zuerst hatte er

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