In fremderen Gezeiten
spüren, dass die Männer Vertrauen zu ihm fassten.
Venner und Shandy starrten einander noch sekundenlang an, dann zog Skank sein Entermesser und warf es Shandy zu, der es am Griff auffing, ohne den Blick von Venner abzuwenden. Schließlich sah Venner zu der Klinge in Shandys Hand hinunter, und Shandy wusste, dass Venner zu dem Schluss kam, dass er nicht betrunken genug war, um es mit ihm aufzunehmen. Dann betrachtete Venner die anderen Männer, und sein Mund wurde zu einer geraden, bitteren Linie, als er offenkundig begriff, dass sich die emotionale Flut in dem Augenblick gegen ihn gewandt hatte, als Trauerkloß das Wort ergriffen hatte.
» Nun«, knurrte Venner. » Ich wünschte, du würdest … uns über diese Dinge besser informieren, Kapitän – ich …« Er hielt inne, dann begann er von Neuem und stieß die Worte aus, als schmerzten ihm bei jedem einzelnen die Zähne. » Ich hatte gewiss nicht vor … dich unter Druck zu setzen.«
Shandy grinste und schlug ihm auf die Schulter. » Kein Problem!«
Er drehte sich um und betrachtete seine Mannschaft – und er ließ sich bewusst die Enttäuschung und Besorgnis nicht anmerken, die er verspürte. Diese Mannschaft, dachte er, ist ein Zeugnis für die Effektivität von Woodes Rogers’ Politik – die Einzigen, die heute noch zu einer Piratenreise anheuern, sind diejenigen, die zu dumm, zu blutdürstig oder zu faul sind, um in einer gesetzestreuen Gemeinschaft zurechtzukommen. Und eine Piratenreise würde es vielleicht sein müssen, wenn sie die Carmichael nicht fanden, diese Strolche und Dummköpfe würden nach Plünderung verlangen.
Höchstwahrscheinlich war es das mit meiner Begnadigung, dachte Shandy. Aber vielleicht ist es besser, ein Gesetzloser mit einem Ziel zu sein als ein zielloser Bürger.
» Skank«, sagte er, weil er zu dem Schluss gekommen war, dass der junge Mann der verlässlichste von ihnen war, » du bist mein Quartiermeister.« Er nickte, ging aber nicht auf Venners schnelles Stirnrunzeln ein. » Bring sie alle an Bord und lass uns aufbrechen, bevor die Jungs von der Navy dahinterkommen, was wir vorhaben.«
» Aye, aye, Käpten.«
Und zwanzig Minuten später segelte die Jenny ohne Hornsignal, aber unter den unsicheren Blicken einiger Offiziere der H. M. S. Delicia zum letzten Mal aus der Bucht von New Providence.
Kapitel 24
Ein lebhaftes Muster von Schatten und Sonnenschein lag auf dem Südbalkon eines der prächtigsten Häuser auf dem Hügel über Spanish Town, und als die sich in der Brise wiegenden Zweige des Pfefferbaumes den Sonnenstrahlen den Weg zu dem Mann mit dem eleganten Bart freigaben, der am Frühstückstisch saß, beschattete er instinktiv das Gesicht, denn es war wichtig für ihn, so faltenlos und jugendlich auszusehen wie möglich. Zum einen schienen Investoren das Gefühl zu haben, dass ein jüngerer Mann mehr über gegenwärtige Märkte und die jüngsten Entwicklungen von Preisen und Währungen wusste; und zum anderen war der ganze Sinn des Erwerbs von Wohlstand verloren, wenn man erst als alter Mann dazu kam.
Ein weiteres Stöhnen von oben ließ seine Hand zucken, sodass ein Spritzer Tee auf der Untertasse landete, statt in der Porzellantasse. Verdammt, dachte der Mann, der sich selbst Joshua Hicks nannte, während er die Teekanne verdrossen und mit einem Klirren abstellte. Konnte ein Mann auf seinem eigenen Balkon kein friedliches Frühstück genießen ohne all diese Klagen? Noch sechs Tage, rief er sich ins Gedächtnis, dann hatte er seinen Handel mit diesem verdammten Piraten erfüllt, und er würde seine Tricks machen und die Frau von hier wegbringen und ihn in Ruhe lassen.
Aber noch während ihm der Gedanke durch den Sinn ging, begriff er, dass es nichts weiter als ein frommer Wunsch war. Er würde ihn niemals in Ruhe lassen, solange er auch nur ein annähernd nützliches Werkzeug war.
Vielleicht sollte er seiner Nützlichkeit ein Ende machen, wie der arme Stede Bonnett es zu tun den Mut aufgebracht hatte, als er in einer solchen Situation mit Schwarzbart war – vielleicht sollte er sich stellen und gestehen … zum Teufel, er hatte Bonnett einige Male getroffen, als die Unberechenbarkeiten des Zuckermarktes den Mann auf Geschäftsreisen nach Port-au-Prince geführt hatten, und er war kein Held gewesen, kein Heiliger …
Nein, dachte er und schaute über das polierte Balkongeländer hinaus, vorbei an den Palmwedeln, die sich in der kühlen Bergbrise bewegten, zu den absteigenden Terrassen weißer Häuser, die
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