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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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das Wohnviertel von Spanish Town bildeten, und weiter in die Ferne auf das Rot der Dachziegel des landseitigen Teils von Port Royale, der gerade eben noch sichtbar war am Rand des blauen Meeres. Er griff zur Seite, nahm den Stöpsel von einer Kristallkaraffe und goss bernsteinfarbenen Cognac, der in der Morgensonne golden glänzte, in seinen Tee. Nein, was immer er sonst war, Bonnett war ein mutigerer Mann, als er es war. Er könnte niemals tun, was dieser Pirat getan hatte – und Ulysse wusste es ebenfalls, verdammt sollte er sein. Wenn er in einem Käfig leben sollte, zog er einen luxuriösen vor, mit Gitterstäben, die man, auch wenn sie stärker waren als Eisen, nicht sehen oder anfassen konnte.
    Er trank den mit Cognac versetzten Tee, stand auf und sorgte dafür, dass er ein gelassenes Lächeln auf dem Gesicht hatte, bevor er sich dem Wohnzimmer zuwandte … und dem ausgestopften Hundekopf, der wie eine schäbige Jagdtrophäe an der Wand hing.
    Er ging durch das breite Wohnzimmer in den Flur, aber er behielt sein Lächeln bei, denn auch dort hing ein Hundekopf. Er erinnerte sich mit einem Schaudern, das sein Lächeln verblassen ließ, an den Tag im September, kurz nach seiner Ankunft hier, als er ein Tuch über jeden Hundekopf im Haus gehängt hatte; das hatte ihm ein willkommenes Gefühl von Privatsphäre geschenkt, aber binnen einer Stunde war die furchterregende schwarze Krankenschwester hereingekommen, ohne anzuklopfen natürlich, und durchs ganze Haus getappt und hatte alle Tücher wieder heruntergenommen. Sie hatte ihn nicht einmal angesehen, und natürlich konnte sie nicht sprechen, so wie ihr der Kiefer an den Kopf gebunden war, aber diese Heimsuchung hatte ihn dermaßen irritiert, dass er nie wieder versucht hatte, Ulysses Wachhunde blind zu machen.
    Gestärkt durch den Brandy und durch das Wissen, dass die Krankenschwester für gewöhnlich erst am späteren Vormittag eintraf, stieg Hicks die Treppe hinauf und lauschte draußen vor der Tür seines Gästezimmers. Das Stöhnen hatte aufgehört, daher zog er den Messingriegel zurück, drehte den hölzernen Knauf und öffnete die Tür.
    Die junge Frau schlief, erwachte mit einem leisen Aufschrei, als er, nachdem er auf Zehenspitzen in den dunklen Raum getreten war, versehentlich gegen das unangetastete Abendessen trat, das sie auf den Boden gestellt hatte. Die Holzschale überschlug sich und prallte gegen die Wand, das Gemüse verteilte sich über Teppich und Tapete. Die Frau setzte sich im Bett auf und blinzelte ihn an. » Mein Gott … John …?«
    » Nein, verdammt«, sagte Hicks, » ich bin es. Ich habe Euch stöhnen hören und wollte mich nur davon überzeugen, dass alles in Ordnung ist. Wer ist dieser John? Ihr habt mich schon früher mit ihm verwechselt.«
    » Oh.« Beth Hurwood sackte zurück und die Hoffnung wich aus ihren Augen. » Ja, alles ist gut.«
    In diesem Raum waren drei Hundeköpfe, daher richtete Hicks sich zu seiner vollen Größe auf und deutete streng auf die verstreuten Blätter und Kräuter. » Versucht Ihr wieder, Eure Medikamente zu verweigern?«, fragte er. » Ich werde das nicht zulassen. Ulysse will, dass Ihr sie esst, und was er will, das erzwinge ich!« Er bremste sich gerade noch, tugendhaft dem Kopf zuzunicken, der über dem Bett angenagelt war.
    » Mein Vater ist ein Ungeheuer«, flüsterte sie. » Eines Tages werdet Ihr Eure eigene Opferung erzwingen.«
    Hicks vergaß die Köpfe und runzelte unbehaglich die Stirn. In den frühen Tagen ihrer Gefangenschaft hatte er über Beth’ Behauptung, Ulysse Segundo sei ihr Vater, gelacht, denn sie behauptete auch immer, ihr Vater habe nur einen Arm, während Ulysse ganz offensichtlich zwei besaß; aber beim nächsten Besuch des Piraten hatte Hicks die rechte Hand des Mannes betrachtet – sie bestand unbestreitbar aus lebendigem Fleisch, aber sie war rosig und glatt wie die eines Kindes und hatte nicht die winzigste Narbe.
    » Nun«, sagte er jetzt schroff, » es ist keine Woche mehr bis Weihnachten. Dann werde ich Euch wenigstens los.«
    Die junge Frau warf die Decke zurück, schwang die Beine aus dem Bett und versuchte aufzustehen, aber sie konnte die Knie nicht durchdrücken und fiel keuchend zurück auf die Matratze. » Verdammt sollt Ihr und mein Vater sein«, stieß sie hervor. » Warum kann ich nichts zu essen bekommen?«
    » Wie nennt man dieses Zeug, dass Ihr liegen gelassen habt, damit man darüber stolpert?«, fragte Hicks scharf, bückte sich, um ein Blatt aufzuheben,

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