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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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Stimme übertönte ihn mühelos. » Ich bin taub, ich kann nicht hören«, verkündete der Bocor. Dann hob er die zusammengebundenen Hände.
    Sofort brach unter den Schreibern Chaos aus – sie warfen Tintenfässer, Stuhl und Pulte um, nur um zum Ausgang zu kommen. Aber Trauerkloß deutete nur auf eine Terrassentür, hinter der ein kleiner Innenhof mit Gehwegen, einem Fahnenmast, einem Brunnen und … Rasen lag. Ohne weiteres setzte sich Trauerkloß zu der Tür in Bewegung.
    » He, halt!«, rief der Marineoffizier. Trauerkloß ging weiter und der Offizier zog seine Pistole. Als er begriff, dass niemand ihm besondere Aufmerksamkeit schenkte, ging Shandy ebenfalls los, blieb aber etwas auf Abstand zu dem Bocor.
    Peng.
    Der Schuss riss ein neues Loch in den Rücken von Trauerkloß’ rissiger Toga, aber der Schuss erschütterte den Bocor nicht einmal. Er drückte die Terrassentüren auf und trat hinaus auf den Gehweg. Shandy war direkt hinter ihm.
    Der Offizier hatte seine leergeschossene Pistole fallen lassen, kam hinter dem riesigen Schwarzen hergelaufen und packte ihn – anscheinend in der Absicht, ihn wieder hineinzuziehen; aber er schaffte es nur, die Segeltuchtoga von den massigen Schultern zu zerren.
    Mehrere Anwesende, darunter auch der Offizier, schrien auf, als sie den Stumpf der abgebrochenen Gaffel blutig aus dem breiten Rücken ragen sahen, aber Trauerkloß machte einen weiteren Schritt vorwärts und drückte dann erst einen, dann den zweiten nackten Fuß in jamaikanische Erde.
    Shandy folgte ihm, und als der Bocor plötzlich rückwärts taumelte, hob er instinktiv die gefesselten Hände, um den Sturz des Mannes abzufangen.
    Die scharfkantige Bruchstelle der Gaffelklau schnitt in den fasrigen Strick seiner Handfessel, als der Bocor schlaff zusammenbrach. Dann lag Trauerkloß tot auf dem Gehweg, die Füße noch im Gras, ein breites Lächeln auf dem Gesicht, das er dem Himmel zugewandt hatte … und Shandy zog an dem beschädigten Seil, bis es riss und seine Hände frei waren. Er lief hinaus in den umfriedeten Hof. Der Schuss hatte Menschen in alle umliegenden Türen gelockt und eine beträchtliche Anzahl von ihnen hielten Schwerter und Pistolen in den Händen. Shandy begriff, dass man ihn wieder einfangen würde … und dann fiel ihm etwas ein.
    Mit schnellen Schritten und in der Hoffnung, nicht allzu viel Aufmerksamkeit zu erregen, trat er an die Fahnenstange; dann begann er – gähnend, als sei dies ein täglicher Ablauf für ihn – den Holzmast hinaufzuklettern. Er war halbwegs oben, bevor der Marineoffizier in den Hof hinausgetaumelt kam und ihn sah.
    » Kommt sofort da herunter!«, brüllte der Mann.
    » Kommt Ihr doch herauf und holt mich«, rief Shandy zurück. Er war jetzt oben angekommen und beugte sich über den dicken, runden Messingknopf am Ende der Fahnenstange, die Beine darunter um die Stange geschlungen und die britische Flagge wie eine Kapuze über dem Kopf.
    » Holt eine Axt!«, schrie der Offizier, aber Shandy hatte begonnen, den Mast in Schwingungen zu versetzen, an ihm vor und zurück zu schaukeln. Die Spitze der Stange schwang immer weiter aus, bis sie schließlich brach und Shandy zusammen mit den abgebrochenen sechs Fuß des Mastes und der Fahne daran auf das Ziegeldach flog.
    Halb benommen von dem Aufprall glitt Shandy mit dem Kopf voraus vom Dach auf die Dachrinne zu, aber er schaffte es, Arme und Beine zu spreizen, um die Bewegung abzubremsen; die durch den Aufprall zerbrochenen Dachziegel und die Spitze des Mastes rutschten an ihm vorbei und verschwanden im Innenhof. Wimmernd vor Schwindel begann er sich wieder hinaufzuschieben und erreichte tatsächlich den Dachfirst. Dort stand er auf und lief gebückt bis zu einem hohen Ölbaum, dessen Äste bis ans Dach reichten; und mit der Leichtigkeit, die er den vielen im Rigg von Schiffen verbrachten Stunden verdankte, schwang er sich durch das Geäst zu Boden. Gerade rumpelte ein mit Gemüse beladener Wagen durch die Gasse, in der er gelandet war. Shandy schwang sich über die Seitenplanke und legte sich flach zwischen klobige, fasrige Kokosnüsse, während der Wagen landeinwärts holperte, weg vom Hafen.
    Als der Wagen vor einem mit Palmstroh überdachten Markt in einer Hauptstraße in Kingston anhielt, kletterte er hinaus. Einige Leute starrten ihn an, aber er schenkte ihnen nur ein wohlwollendes Lächeln und schritt auf die Läden zu. Hurwoods Kleider waren jetzt zerrissen und bedeckt mit rotem Ziegelsteinstaub und Fasern von

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