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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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Arzt – und Hurwood schien einer zu sein – eine Wunde versorgte, trat Chandagnac vor, um das Geschehen zu beobachten; und für einen verwirrenden Augenblick dachte er, Hurwood würde damit beginnen, dass er sich um Davies’ ungepflegtes Äußeres kümmerte, denn was er aus der Tasche zog, sah aus wie ein Pinsel.
    » Dieser Ochsenschwanz«, erklärte Hurwood wie in einer Vorlesung, » ist dahingehend präpariert worden, dass sich in ihm die Wirkkraft des Wesens konzentriert, das Ihr Mate Care-For nennt. Wäre er ein größeres Wesen, könnte er uns allen auf einmal seine Aufmerksamkeit schenken, aber wie die Dinge liegen, kann er sich gleichzeitig nur um einige wenige Personen kümmern. In diesem jüngsten Kampf hat er mich selbst und Mr. Friend beschützt, und da die Gefahr für uns vorüber ist, werde ich Euch nun erlauben, seine Aufmerksamkeit zu beanspruchen.« Er stopfte das borstige Ding vorn in Davies’ limonengrünes Hemd. » Und hier …« – wieder durchstöberte er seine Taschen und förderte einen kleinen, gefüllten Stoffbeutel zu Tage, » ist eine Drogue, die dafür sorgt, dass die Eingeweide sich anständig benehmen. Wiederum sind Sie in diesem Moment in dieser Hinsicht in größerer Gefahr, als ich es bin – obwohl ich es zurückhaben will.« Er nahm Davies den Hut ab, legte ihm den kleinen Beutel auf den Kopf und setzte ihm anschließend den Hut wieder auf. » Das wäre erledigt«, stellte er fest und stand auf. » Lasst uns keine weitere Zeit mehr vergeuden. Seht zu, dass alle, die von Bord wollen, ins Boot kommen, und dann lasst uns weiterfahren.«
    Die neuen Besitzer der Carmichael ließen das Beiboot auf Steuerbord mit einem achtlosen Platschen zu Wasser und hängten ein Netz aus Wanten und Webleinen über die Reling, damit man daran ins Boot hinabklettern konnte. Beim nächsten Schwall der Dünung krachte das Boot gegen den Schiffsrumpf und nahm eine Menge Wasser über, aber Davies erteilte müde einige Befehle, und das Schiff drehte sich schwerfällig, bis der Wind von Steuerbord achtern kam und das Rollen des Schiffs nachließ.
    Davies erhob sich mit schmerzverzerrter Miene. » Fort mit allen, die von Bord wollen«, brummte er.
    Sehnsüchtig beobachtete Chandagnac, wie die Überlebenden der ursprünglichen Besatzung der Carmichael zur Steuerbordreling schritten; mehrere von ihnen stützten verletzte Kameraden. Beth Hurwood, die sich eine schwarze Kapuze über ihre kupferroten Löckchen gezogen hatte, setzte sich ebenfalls in Bewegung, drehte sich dann um und rief: » Vater! Komm mit ins Boot.«
    Hurwood schaute auf und stieß ein Lachen aus, das wie das letzte Knarren einer ungeölten Maschine klang. » Sie würden sich sicherlich über meine Gesellschaft freuen! Die Hälfte der Toten gehen auf meine Pistolensammlung und meine Hand. Nein, meine Liebe, ich bleibe an Bord dieses Schiffes – und du tust das Gleiche.«
    Seine Feststellung hatte sie erschüttert, aber sie drehte sich um und ging auf die Reling zu.
    » Haltet sie auf!«, blaffte Hurwood ungeduldig.
    Davies nickte und mehrere grinsende Piraten traten vor sie hin.
    Hurwood gestattete sich ein weiteres Lachen, aber es verwandelte sich in ein würgendes Husten. » Fahren wir«, krächzte er. Im gleichen Augenblick schaute Chandagnac zufällig zu Leo Friend hinüber. Der Wundarzt blinzelte hektisch, den Blick starr auf Beth Hurwood gerichtet, und seine vorspringenden Lippen waren nass. Vielleicht, dachte Chandagnac, hatte es doch sein Gutes, dass er gezwungen worden war, auf dem Schiff zu bleiben.
    » Hier, ihr Tölpel«, sagte Davies, » werft die Leichen über Bord – aber gebt acht, dass sie nicht im Boot landen –, und dann lasst uns aufbrechen.« Er blickte nach oben. » Wie sieht es aus, Rich?«
    » Wir können nicht halsen«, kam ein Ruf von oben, » ohne den Besan. Aber bei diesem Wind und Seegang können wir dennoch aufkreuzen, wenn wir die ganze Mannschaft aufentern lassen.«
    » Gut. Elliot, nimm dir ein paar Männer und bring die Schaluppe nach Hause.«
    » In Ordnung, Phil.«
    Beth Hurwood schaute von ihrem Vater zu Leo Friend, der lächelte, vortrat – Chandagnac bemerkte zum ersten Mal, dass der Sonntagsstaat des dicken Arztes ein lächerliches Paar Schuhe mit roten Absätzen und » Windmühlenflügel-Schnürsenkeln« einschloss – und Beth seinen Arm anbot. Aber Beth ging zu Chandagnac und trat wortlos neben ihn. Ihre Lippen waren genauso fest aufeinandergepresst wie zuvor, aber Chandagnac bemerkte einen Moment

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