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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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Huhns, richtete sich auf, um sich kurz zu übergeben, und sank dann wieder zurück und schlief ein.

Kapitel 3
    Der Sommer 1718 war nicht typisch für die Republik der Gesetzlosen auf der Insel New Providence. Traditionell überholten die karibischen Piraten im Frühling ihre größeren Schiffe, und wenn die Rümpfe von Algen und Muscheln gereinigt und alle verfaulten Planken und Taue ersetzt waren, füllten sie die Frachträume mit Proviant, Wasser und dem Besten der winterlichen Plünderbeute. Dann segelten sie nach Nordwesten, um die Berry-Inseln und die Biminis herum und ließen sich ab da vom ewigen Golfstrom helfen, entlang der nordamerikanischen Küste nach Norden zu kommen. Die Gouverneure der englischen Kolonien hießen die Piraten im Allgemeinen willkommen, dankbar für den Wohlstand, den ihre billig verkauften Waren bedeuteten. Im Sommer war die Karibik eine Brutstätte für Malaria und Gelbfieber und jede Art von Ruhr, ganz zu schweigen von den Hurrikans. Sie zogen vor allem in dieser Jahreszeit über den Atlantik von Barbados her nach Westen, tobten um Kuba herum und schwenkten dann nach Norden zum Golf von Mexiko ab wie Drillbohrer, die über eine Glasscheibe rutschen. Auf ihrem Weg schufen sie Inseln, teilten sie oder löschten sie gar völlig aus.
    Aber jetzt war Juli und im Hafen von New Providence drängten sich noch immer Schaluppen und Schoner und Brigantinen und sogar einige Dreimaster. Kochfeuer verräucherten noch immer die Luft über den Hütten und Bretterschuppen und Segeltuchzelten am Strand, und die Huren und Schwarzmarktkäufer schlenderten noch immer zwischen den Mannschaften umher und beobachteten eifrig hereinkommende Schiffe; denn es hatte sich herumgesprochen, dass König Georg einen Mann namens Woodes Rogers zum Gouverneur der Insel ernannt hatte. Rogers konnte jetzt jeden Tag mit einer Eskorte der Royal Navy eintreffen, und er würde den königlichen Straferlass für jeden Piraten mitbringen, der der Piraterie entsagen wollte, und die vom Gesetz vorgeschriebenen Strafen für alle, die das nicht taten.
    Die in den frühen Juliwochen unter den Bewohnern von New Providence am meisten verbreitete Einstellung konnte in der Phrase » Abwarten und Rum trinken« zusammengefasst werden. Einige wenige, wie zum Beispiel Philip Davies, waren entschlossen, bis zu Rogers Eintreffen verschwunden zu sein, und einige andere, vorrangig Charlie Vane und seine Mannschaft, hatten beschlossen zu bleiben und dieser Kampfansage durch die Autoritäten auf der anderen Seite des Atlantiks mit Gewalt entgegenzutreten. Aber die meisten der Piraten waren geneigt, den angebotenen Straferlass anzunehmen und so ihrer Zukunft das drohende Gespenst des zeremoniellen silbernen Riemens zu nehmen, den der Henker trug, wenn er einen verurteilten Piraten zum Galgen, zu dem Geistlichen und der Menschenmenge eskortierte und zu dem letzten Knoten, mit dem der Pirat es jemals zu tun haben würde. Und schließlich konnten sie immer noch ein Boot stehlen und sich vom Wind zu einer anderen Insel bringen lassen, wenn sie das Leben unter dem neuen Regime nicht als Verbesserung empfanden. Vor zweihundert Jahren hatten die Spanier gewissenhaft auf all ihren Inseln Schweine und Rinder ausgesetzt, und ein Mann konnte es erheblich schlechter treffen, als an irgendeinem unüberwachten Ufer von Früchten, Fisch und über bukanischem Feuer getrocknetem Fleisch zu leben. Die Lebensart der Bukanier hatte effektiv ein Jahrhundert zuvor geendet, als die Spanier alle harmlosen Strandbewohner von ihren Inseln vertrieben und aufs Meer hinausgeschickt – und es bald bereut hatten, denn aus den verbannten Bukaniern waren schnell räuberische Meeresbewohner geworden; aber die Inseln waren ja noch da.
    Jetzt sprenkelten Orangen den Dschungel wie leuchtend goldene Münzen auf grünem Satin und gekräuseltem Samt, und selbst die Menschen, die in England groß geworden waren, folgten dem Beispiel der anderen Rassen und bereicherten ihre schlichte Kost mit Tamarinden, Papayas und Mangos; in den Bäumen hingen Avocados zu Hunderten, fett und dunkelgrün, und oft fielen sie herab, landeten schwer im Sand und erschreckten Piraten, die es nicht gewohnt waren, die Avocados in der Jahreszeit ihrer Reife zu sehen.
    Das Kochen spielte inzwischen überhaupt im täglichen Leben der Siedlung auf New Providence eine größere Rolle. Das lag zum einen daran, dass die unmittelbar bevorstehende Ankunft von Woodes Rogers eine Zurückstellung sämtlicher piratischer

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