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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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dass sie diese Räume regelmäßiger lüften sollten – die Gerüche von Weihrauch, mottenzerfressenen Wandbehängen und trockenen Gebetsbüchern waren nach einem Jahrhundert eine unglückliche Ehe eingegangen.
    » Ich glaube, du bist derjenige, der zu viel getrunken hat«, blaffte Hurwood gereizt. Er konnte sein Haar im Spiegel nicht länger sehen. » Zieh diesen verdammten Vorhang wieder auf.«
    » Jetzt ist keine Zeit für Visionen, Mr. Hurwood«, sagte irgendjemand, vermutlich Peter. » Es wird Zeit, in die Boote zu steigen.«
    Hurwood bemerkte zu seinem Schrecken, dass die Lampe irgendwie ein Feuer im Vorraum der Kirche ausgelöst hatte – nein, drei Feuer! » Peter«, rief er, » die Kirche brennt!« Er drehte sich zu seinem Trauzeugen um, doch statt der schlanken, eleganten Gestalt Peters sah er einen monströs fetten jungen Mann in grotesken Kleidern. » Wer seid Ihr?«, fragte Hurwood völlig verängstigt, denn er war sich jetzt sicher, dass seiner Verlobten etwas zugestoßen war. » Geht es Margaret gut?«
    » Sie ist tot, Mr. Hurwood«, sagte der fette Junge ungeduldig. » Das ist der Grund, warum Ihr hier seid, erinnert Ihr euch?«
    » Tot!« Dann musste er wegen einer Beerdigung in der Kirche sein, nicht wegen einer Hochzeit – aber warum war der Sarg so klein, ein quadratisches Holzkistchen, das an keiner Seite mehr maß als drei Handspannen? Und warum roch er so nach Erde und so übel?
    Dann riss er sich aus seiner Benommenheit, und die Erinnerungen an dieses letzte Viertel eines Jahrhunderts stürzten wie ein Erdrutsch an ihm herab, sodass er sich schwach und weißhaarig wiederfand.
    » Ja, tot«, wiederholte Leo Friend. » Und Ihr werdet Euch während der nächsten zwei Stunden vernünftig benehmen, selbst wenn ich Euch persönlich an die Kandare nehmen muss«, fügte der fette Mann verzweifelt hinzu.
    » Beruhigt Euch, Leo«, sagte Hurwood und schaffte es, ein wenig gelöste Heiterkeit in seine Stimme zu zwingen. » Ja, setzt unbedingt … Elizabeth in das Boot.«
    Hurwood schritt selbstbewusst den Hang in Richtung Fluss hinunter, wo die Boote lagen und die hölzerne Truhe aus Schwarzbarts Boot aufgestemmt wurde – auch wenn der alte Mann ein wenig taumelte, weil er alle paar Sekunden das Gefühl hatte, in einem gemessen langsamen Tempo durch den Mittelgang der Kirche zu gehen, über wechselnde Flecken von Schatten und schräg einfallendes, farbiges Licht hinweg, als er an einem der hohen Buntglasfenster nach dem anderen vorbeiging.
    Die elastischen, an Spinnenbeine erinnernden Mangrovenwurzeln am Flussufer waren auf dreißig Schritt mit Entermessern abgehauen worden, und Männer standen knietief in dem schwarzen, von Fackellicht glitzernden Wasser und fingen in Öltuch gewickelte Bündel auf, die man ihnen vom Ufer aus zuwarf. Dann legten sie sie in die Boote. Im Bug eines jeden der drei Boote war eine brennende Fackel befestigt, und Hurwood sah, dass Davies und der Koch bereits in einem der Boote saßen. Davies hielt es ruhig, indem er sich an einem Mangrovenstumpf festhielt, der ungefähr einen Fuß aus dem Wasser ragte.
    » … von diesem Tag an, bis dass der Tod euch scheidet?«, fragte der Pfarrer und lächelte freundlich das ernsthafte Paar an, das vor ihm kniete. Aus dem Augenwinkel sah Hurwood den Messdiener, der ihm schon früher aufgefallen war, immer noch auf der gegenüberliegenden Bank knien. Er wirkte immer noch verängstigt, nein, eher verloren als verängstigt.
    » Ich will«, sagte Hurwood.
    » Wie war das noch, Thatch?«, fragte der Pirat, der gerade das letzte Bündel aus der Holztruhe genommen und das in Ölhaut gewickelte Päckchen den Männern im Wasser zugeworfen hatte.
    » Er sagt: ›Ich will‹«, kicherte der Mann neben ihm.
    Der erste Pirat zwinkerte seinem Gefährten zu. » Ich dachte mir schon, dass er der Typ dazu sei, aber ich war mir nicht sicher.«
    » Haha.«
    Hurwood schaute sich blinzelnd um, dann lächelte er ihnen zu. » Überaus erheiternd. Ich werde Euch Herren auf jeden Fall einige Andenken vom Jungbrunnen mitbringen.«
    Das Grinsen erstarb auf den Gesichtern der Männer. » Nichts für ungut, Sir«, sagte einer von ihnen mürrisch.
    » Trotzdem, ich werde es nicht vergessen.« Als er über seine Schulter schaute, sah Hurwood Leo Friend behäbig den Hang hinunterschreiten. » Wir fahren mit dem da«, erklärte Hurwood den eingeschüchterten Piraten und zeigte auf eins der Boote. » Bitte, bringt es näher heran und haltet es ganz ruhig, denn mein

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