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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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abkühlen lassen.«
    Auch Hurwood schien es zu bemerken, denn er stellte sein Gekicher und Gegurr ein und blaffte: » Die Kräuter – schüttet sie jetzt auf die Fackeln.«
    Shandy öffnete das seinem Boot zugeteilte Öltuch und warf händeweise vorsichtig das feuchte, faserige Zeug – die Kräuter, für die Schwarzbart Charles Town terrorisiert hatte –, auf die Glut der Fackel. Rauch stieg zuerst in dünnen, ungleichmäßigen Schwaden auf, plötzlich in dicken Wolken, und Shandy riss den Kopf zurück, schnaubte und spuckte erneut aus, diesmal, um den scharfen, beinahe an Ammoniak erinnernden Gestank aus der Nase zu bekommen. Keine Frage, dachte er, dass dieses Abwehrmittel gegen Geister wirkte – man würde damit sogar die hölzerne Galionsfigur vom Bug eines Schiffes jagen können.
    Er war angespannt, hatte aber nicht direkt Angst, obwohl er sich gleichzeitig darüber im Klaren war, dass es ihm ähnlich ging wie bei der Kaperung der Carmichael, während derer er – in Unkenntnis der wirklichen Gefahren – einen recht kühlen Kopf bewahrt hatte. Aber Schwarzbart war schon einmal hier gewesen, sagte er sich, und er ist einigermaßen wohlbehalten wieder herausgekommen … und natürlich war Schwarzbart einfach unvorsichtig hineingestolpert, angezogen von den magischen Schwingungen des Jungbrunnens oder was auch immer. Es hatte ihn angezogen wie eine Kerze die Motte, während wir einen Führer haben, der weiß, wie man mit all diesen Dingen umgehen muss …
    Seine Zuversicht schwand jedoch ein wenig, als er sich daran erinnerte, dass Hurwood offensichtlich den Verstand verloren hatte. Und warum hatte Schwarzbart ihnen verboten, Pistolen mitzunehmen?
    Der Fluss wurde schmaler, oder genauer gesagt, er verästelte sich in Dutzende enger Kanäle, und schon bald wurde das Rudern unmöglich, und die Riemen konnten nur noch zum Staken benutzt werden. Schwarzbarts Boot übernahm auch hier die Führung, Hurwoods kam als nächstes, und das Boot mit Davies und Shandy bildete das Schlusslicht. Während die nassen Ranken und wilden Orchideen sich in dem orangefarbenen Fackellicht immer näher herandrängten, fragte Shandy sich, ob da nicht etwas im Sumpf war, nicht allzu weit entfernt, etwas, das ihnen schweigend in der Dunkelheit folgte – etwas Großes, obwohl es kein Geräusch machte, während es sich durch das vom Mondschein gesprenkelte Dickicht der Lorbeerbäume, Mooreichen und Rotahorne bewegte. Er versuchte, seine Fantasie in ihre Schranken zu weisen, obwohl das Geräusch, das wie ein Wispern klang – und das jetzt lauter geworden war –, es ihm nicht leicht machte.
    Er kniete auf einer der Ruderbänke und stieß seinen Riemen abwechselnd in den schlammigen Grund des Flusses und spähte durch den abscheulichen Rauch nach vorn, um zu sehen, welche Kanäle die beiden anderen Boote nahmen. Er hatte einige Funken von der Fackel abbekommen, seit sie unterwegs waren, und sie geistesabwesend weggewischt. Aber jetzt spürte er zwei warme Punkte an seiner Taille, doch als er hinunterschaute, sah er keine Funken.
    Er klopfte sein Hemd ab und stellte fest, dass seine eiserne Gürtelschnalle unbehaglich heiß war, ebenso wie sein in der Scheide steckendes Messer. Und jetzt, da er diese Dinge bemerkt hatte, wurde er sich auch einer Wärme auf dem Spann seiner Füße bewusst – genau dort, wo seine Stiefelschnallen saßen.
    » Uh«, begann er und wandte sich zu Davies um, aber bevor er überlegen konnte, was er sagen wollte, rief Hurwood sie von seinem Boot aus an.
    » Eisen!«, erklärte der alte Mann. » Anscheinend stimmt der alte Aberglaube – die Verbindung zwischen Eisen und Magie –, es wäre wahrscheinlich klug, es abzulegen, so weit Ihr das tun könnt …«
    » Behaltet Eure Waffen«, erklang Schwarzbarts grummelnder Bass. » Ich war schon früher hier – es wird nicht zu heiß, um es anzufassen. Und werft auch nicht Eure Gürtelschnallen weg, denn das bedeutet, dass Euch die Hosen herunterrutschen werden.«
    Ein Schrei aus dem schwarzen Dschungel ließ Shandy zusammenzucken, aber Davies, der sich auf seinen eigenen Riemen stützte, lachte leise und meinte: » Das war kein Geist – das war einer dieser braun-weißen Vögel, die die Wasserschnecken fressen.«
    » Oh, richtig.«
    Shandy zog seinen Riemen ein und legte ihn quer über den Bug. So behutsam, als spalte er die Schale eines kochend heißen Hummers, nahm er seinen Gürtel ab, zog sein Messer – er konnte die Hitze der Angel sogar durch das Leder des

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