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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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Griffs spüren – und schnitt das Schnallenende vom Gürtel ab. Es fiel klappernd in den Rumpf des Bootes und klatschte in die Pfütze, die auf den Bodenbrettern hin und her schwappte. Er schob das heiße Messer zurück in seine Scheide und griff wieder nach seinem Riemen.
    Davies, der im Rhythmus des Stakens nicht innegehalten hatte, grinste spöttisch und schüttelte den Kopf. » Hoffentlich rutschen dir die Hosen nicht herunter.«
    Shandy stützte sein volles Gewicht auf seinen Riemen und fragte sich, ob sie noch Wasser unter dem Kiel hatten oder das Boot durch Schlamm stakten. » Deine«, stieß er hervor, » sollte besser nicht Feuer fangen.«
    Die drei Boote schoben sich Zoll für Zoll weiter durch den feuchten Dschungel, eingehüllt in den Rauch der Fackeln. Zur Entlastung seiner Augen, die vom grellen Licht der Fackeln tränten, ebenso sehr aber aus Furcht vor einem sich vielleicht verstohlen nähernden Ungeheuer, spähte Shandy immer wieder nach links und rechts. Zuerst war er erleichtert, als er entdeckte, dass das » Wispern« von weißen, pilzähnlichen Gewächsen kam, die an den schlammigen Ufern immer dichter standen, genauer gesagt, aus mit Klappen verschließbaren Öffnungen in den runden Gebilden. Auf der Suche nach einer Erklärung für das Phänomen vermutete er, dass ihre Wurzeln in luftgefüllte Höhlen reichten und dass Temperaturunterschiede dazu führten, dass Luft aufstieg und auf diese zugegebenermaßen absonderliche Art und Weise freigesetzt wurde. Doch als die Boote immer tiefer in das Sumpfland vordrangen, wo die Pilzbälle größer wurden, sah er, dass über den Atemlöchern Beulen und Einbuchtungen erschienen, die bei längerer Betrachtung immer mehr wie Nasen und Augen aussahen.
    Das Gefühl der Anwesenheit einer riesigen und aufmerksamen – aber stummen – Wesenheit in der Dunkelheit wurde immer bedrückender. Schließlich schaute Shandy angstvoll auf, und obwohl er das vom Mondlicht versilberte Geflecht ineinandergreifender Äste über sich sehen konnte, wusste er, dass etwas sich unsichtbar über sie beugte, etwas, das hier zu Hause war und dem diese abstoßenden Sümpfe und Tümpel und Schlingpflanzen und amphibischen Wesen gehörten – wenn es nicht vielleicht einfach zu einem guten Teil aus ihnen bestand.
    Die anderen spürten es offensichtlich ebenfalls. Friend rappelte sich mühsam hoch und hätte beinahe die Fackel seines Bootes gelöscht, als er eine doppelte Handvoll schwarzer Kräuter daraufwarf; die Flamme flackerte kurz, aber einige Sekunden später loderte sie wieder auf und sandte eine dicke Wolke scharfen Rauchs aufwärts zu dem Dach aus Zweigen, das sich über dem Fluss wölbte.
    Ein Schrei aus dem Himmel schüttelte Blüten von den Bäumen und erzeugte winzige Wellen auf dem Wasser, so dicht und stetig, dass die Boote für einen Moment auf einer Scheibe aus besonders festem Glas zu liegen schienen. Das Geräusch verhallte im Dschungel; danach blieb nur noch das Kreischen verängstigter Vögel, und nachdem sie verstummt waren, nur das Wispern der Pilzknollen.
    Shandy betrachtete die nächste Ansammlung von Knollen, und er sah, dass sie jetzt deutlichere Gesichter hatten, und nach der Art, wie ihre Augenlider zuckten, zu urteilen, war er sich unglücklich bewusst, dass er bald den Blicken von Augen begegnen würde, wenn er sie ansah.
    Hinter ihm fluchte Davies unausgesetzt mit einer erschöpften, monotonen Stimme vor sich hin.
    » Sag mir jetzt nicht«, begann Shandy ziemlich gelassen zu sprechen, » dass das einer der braun-weißen Vögel war, die die gottverdammten Wasserschnecken fressen.«
    Davies blaffte ein kurzes Lachen heraus, antwortete aber nicht. Shandy konnte Beth leise weinen hören.
    » Ah, meine liebe Margaret«, sagte der alte Benjamin Hurwood mit einer erstickten, aber deutlich hörbaren Stimme, » mögen diese Tränen des Glücks die einzige Art von Tränen sein, die du je wieder vergießt! Und jetzt verzeih bitte einem sentimentalen alten Gelehrten aus Oxford. An diesem Tag, unserem Hochzeitstag, möchte ich dir ein Sonett aufsagen, das ich für dich verfasst habe.« Er räusperte sich.
    Die unsichtbare Gegenwart dieser Seele des Sumpfes lastete immer noch auf der widerlich riechenden Luft, und der Rist von Shandys Füßen wurde unbehaglich heiß, trotz des dicken Leders zwischen den Stiefelschnallen und seiner Haut.
    » Margaret«, begann Benjamin Hurwood, » es bedarf einer dantischen Muse …«
    » Wir sind auf Grund«, kam Schwarzbarts Ruf

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