In fremderen Gezeiten
seiner Aufgabe. Schwarzbarts Bootsmann schwang mit ausdruckslosem Gesicht sein Entermesser so metronomhaft regelmäßig, dass er Shandy an eine der wasserbetriebenen automatischen Figuren in den Tivoligärten in Italien erinnerte. Da Shandy versuchte, sich von ihm möglichst fernzuhalten, arbeitete er die meiste Zeit zwischen Davies und Schwarzbart.
Das Gefühl einer überwältigenden, unsichtbaren Präsenz intensivierte sich wieder, und einmal mehr konnte Shandy spüren, dass dieses Etwas sich aus dem Himmel über sie beugte und mit seltsamer Entrüstung auf diese acht Eindringlinge herabstarrte.
Shandy stieß sein Messer für einen Moment in einen Baum, öffnete den Ölzeugbeutel und warf eine Handvoll von dem schwarzen Zeug auf die Fackel. Einen Augenblick später quoll eine dichte Rauchwolke auf und machte ihn fast blind, während er sein Messer wieder aus dem Baum zog; aber als die Rauchwolke diesmal in dem Gewebe der Äste und Zweige des Dschungelbaldachins verschwand, erzitterte der Wald unter einem leisen Brüllen – ein offensichtlicher Ausdruck von Zorn, der genauso offensichtlich aus keiner organischen Kehle stammte.
Schwarzbart trat zurück und spähte argwöhnisch in das grüne Dickicht, das sie umgab. » Bei meinem ersten Besuch hier«, murmelte er zu Davies und Shandy gewandt, » habe ich mit den Einheimischen gesprochen – hauptsächlich Creek-Indianern. Habe ihnen ein Zaubermittel überlassen, damit sie mir reinen Wein einschenkten. Sie erwähnten etwas namens Este Fasta. Meinten, das bedeute ›Person geben‹. Klang wie eine einheimische Sorte von Loa. Ich frage mich, ob das unser Brüller von vorhin war.«
» Aber er hat dich bei deinem ersten Besuch hier nicht belästigt«, meinte Davies mit gepresster Stimme.
» Nein«, pflichtete Schwarzbart ihm bei, » aber damals hatte ich auch das Mittel nicht dabei, um die Geister fernzuhalten. Da dachte er wahrscheinlich, er brauchte sich nicht einzumischen.«
Großartig, dachte Shandy. Er starrte in die von Fackeln erhellte Vegetation vor ihnen und war um ein oder zwei Sekunden der Erste, dem auffiel, dass die Ranken und Zweige sich in der stillen, stehenden Luft bewegten – sie wanden sich.
Dann bemerkte Schwarzbart es, und als die Pflanzen annähernd die Form einer riesigen Hand annahmen, die nach ihnen griff, ließ der Piratenkönig seine Fackel fallen, stürzte vorwärts und schlug das Gebilde mit zwei Hieben seines Entermessers in Stücke.
» Komm schon, du Teufel«, zürnte Schwarzbart, ein furchterregender Anblick mit seinen Zähnen und dem Weiß in seinen wahnsinnigen Augen, das im Schein der in seiner Mähne schwelenden Lunten schimmerte. » Wedle mir mit noch ein paar Büschen vor dem Gesicht herum!« Ohne auf die Reaktion der fremden Loas zu warten, stürmte er in den urtümlichen Regenwald, schrie und schwenkte sein Entermesser. » Kusch dich, du Nichts von einer Pluster-Eule!«, schrie er und verfiel in die Mundart zurück, die Shandy inzwischen als den Dialekt der jamaikanischen Bergstämme erkannte. » Es braucht schon mehr als einen armseligen Bungodeppen, um einem großen Hunsi Kanzo bange zu machen!«
Shandy konnte Schwarzbart jetzt kaum noch sehen, obwohl er die Schlingpflanzen wegschnipsen sah und das Hacken des Entermessers hörte und das Klatschen abgeschlagener Pflanzenteile, die in alle Richtungen flogen. Geduckt, das Messer fest in der Hand, hatte Shandy einen Moment Zeit, sich zu fragen, ob dieses irrsinnige Toben die einzige Art und Weise war, die Schwarzbart sich gestattete, seiner Furcht Luft zu machen – dann kam der gewaltige Pirat wieder aus dem Dschungel gebrochen. Einige seiner glimmenden Lunten waren erloschen, aber sein Zorn war immer noch so erschreckend wie zuvor. Schwarzbart nahm Shandy den Ölzeugbeutel aus der Jackentasche, riss ihn mit den Zähnen auf und schleuderte ihn in den Schlamm.
» Hier!«, brüllte er in den Dschungel, packte Shandys Fackel und drückte sie mit dem brennenden Kopf auf die verschütteten Kräuter. » Ich brandmarke dich als meinen Sklaven!«
Eine Dampfwolke schoss empor; sie stank nach versengtem, schwarzen Schlamm ebenso wie nach dem brennenden Kraut, und ein Schrei von unmenschlichem Schmerz und Zorn erschütterte die Luft über ihnen, riss Blätter von den Bäumen und warf Shandy zu Boden.
Während er sich in dem dünnflüssigen Schlamm wälzte und sich mühte, aufzustehen und wieder Luft in seine Lungen zu bekommen, sah Shandy vage Schwarzbart als Silhouette, wie er den
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