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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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in alle Richtungen davon, und die Kleider blähten sich und flatterten an seiner riesigen Gestalt wie die Wellen einer Kreuzsee. Die Hände wurden ihm halbhoch gerissen, als die grauen Wesen aus seinen Ärmeln schossen, aber inmitten der wilden Detonationen brüllte Schwarzbart und schaffte es, sich umzudrehen.
    » Bleibt dort!«, rief Hurwood. » Tretet nicht von der Brücke herunter! Es sind Eure Geister, die Euch verlassen!«
    Der Exodus der Geister verebbte, aber Schwarzbart hörte nicht auf zu zucken. Sein Gürtel und seine Schuhe standen in Flammen. Er packte den schwelenden Griff seines Entermessers und zog sich die rötlich glühende Klinge über den Gürtel. Sofort verbrannte sie das Leder. Er warf das Entermesser in den Sand, riss mit zischenden Fingern die Gürtelschnalle auf, zog das Leder heraus und warf es dem Schwert hinterher. Dann setzte er sich, streifte die Stiefel ab, stand wieder auf und grinste Hurwood an.
    » Jetzt lasst alles Eisen fahren!«, sagte er.
    Ihr, die Ihr hier eintretet, dachte Shandy.
    » Ihr könnt herunterkommen und einfach zusammen mit den anderen hier auf Leo und mich warten«, meinte Hurwood. » Eure Geister sind fort, und es ist immer noch jede Menge von dem Schwarzkraut übrig – wenn wir die beiden anderen Fackeln zurückbekommen und sie ebenfalls entzünden können, wird keine Gefahr bestehen, auf dem Rückweg durch den Dschungel erneut infiziert zu werden. Unser Handel ist erfüllt, und Leo und ich werden nach einer Weile wieder hier sein, um Euch alle dorthin zurückzubringen, wo dieser Ort mit der Welt, die Ihr kennt, verbunden ist.«
    Shandy seufzte vor Erleichterung und sah sich bereits nach einem Sitzplatz um, als er bemerkte, dass Friend keine Anstalten gemacht hatte, Beth Hurwood abzulegen.
    » W-Wer«, stammelte Shandy, » wer geht hinüber und wer bleibt hier?«
    » Leo und das Mädchen und ich selbst gehen hinüber«, erwiderte Hurwood ungeduldig und stellte seine Laterne in den Sand. Er zog Gürtel und Schuhe aus, dann kniete er vor Friend nieder und öffnete dem fetten Mann einhändig das verzierte Gürtelschloss. Friends schlammverklebte Schuhe enthielten offensichtlich kein Eisen.
    » Ich werde ebenfalls hinübergehen«, erklärte Schwarzbart, ohne von der Brücke herunterzusteigen. » Ich habe mich nicht vor zwei Jahren bis hierher durchgekämpft, nur um mir einen Pelz voll Geister einzuhandeln.« Er schaute an Hurwood vorbei und einen Moment später traten Stede Bonnett und der Bootsmann vor. Bonnett öffnete sich den Gürtel und trat aus seinen Schuhen; der Bootsmann mit seinen zugenähten Kleidern hatte keinen Gürtel und trug auch keine Schuhe. » Sie kommen auch mit«, erklärte Schwarzbart.
    Davies’ Gesicht war jetzt merklich faltiger, die Wangen stärker eingefallen als an den Feuern am Meeresufer, aber seine Augen glitzerten, als er einen Schritt vorwärts machte und sich dann hinhockte, um sich die Stiefel abzustreifen.
    Nein, dachte Shandy beinahe gelassen. Das kann niemand von mir erwarten. Ich bin bereits auf dem Gehsteig außerhalb der Wirklichkeit – aber ich werde nicht weitergehen, ich werde nicht auch noch auf die Straße treten. Keiner dieser Leute wird jemals zurückkommen, und ich werde Hurwoods magische Laterne entschlüsseln müssen, nur um den Weg zurück zu dem gottverdammten Dschungel zu finden! Warum bin ich bloß jemals mitgekommen? Warum habe ich jemals England verlassen?
    Er stellte fest, dass er vorbehaltlos zuversichtlich war, einen Ausweg finden zu können, und sein Gesicht rötete sich, als ihm bewusst wurde, dass es ein Grundsatz aus seiner frühen Kindheit war – die Überzeugung, dass irgendjemand, wenn er nur laut und lange genug weinte, kommen und ihn nach Hause bringen würde.
    Welches Recht hatten diese Leute, ihn in eine so demütigende Situation zu bringen?
    Er betrachtete Beth Hurwood, die über Friends Schulter lag. Sie war immer noch bewusstlos, und ihr Gesicht, wenn es ihm auch nach wie vor herzzerreißend schön erschien, war durch die jüngsten Gräuel ausgezehrt und angespannt – eine unerträglich missbrauchte Unschuld. Würde es nicht menschenfreundlicher sein, sie jetzt sterben zu lassen, ohnmächtig und noch nicht zerstört?
    Während er noch zweifelte, fing er Leo Friends Blick auf. Friend lächelte ihn mit zuversichtlicher Verachtung an und er schob seine pummelige Hand auf Beth’ Oberschenkel.
    Im gleichen Moment begann Hurwood beruhigend vor sich hin zu summen, und er ließ sich auf Hände und

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