In fremderen Gezeiten

Knie nieder. Er murmelte einige vage Liebkosungen, dann ließ er sich sanft, aber entschlossen mit dem Gesicht nach unten in den Sand hinunter. Immer noch vor sich hin murmelnd begann er dort in einem schwerfälligen Rhythmus zu zappeln.
    Leo Friend errötete heftig und riss die Hand von Beth’ Bein. » Mr. Hurwood!«, kreischte er. Hurwood, der nicht innehielt, kicherte nachsichtig.
    » Er scheint nach einer Weile aus diesen Anfällen aufzutauchen«, meinte Schwarzbart. » Wir werden warten, bis dieser hier vorüber ist, und dann weitergehen.«
    Sind denn alle hier verrückt geworden, fragte Shandy sich. Ohne Hurwood würde keiner von ihnen lebendig über diese Brücke zurückkommen, und ob mit ihm, stand in den Sternen, und jetzt war der alte Mann verrückter als Gouverneur Sawney. Es bestand nicht die geringste Aussicht, ein weiteres Vorrücken zu überleben, und er wollte seinen ewigen Platz unter den stummen, grauen Legionen an diesem unnatürlichen Horizont nicht einnehmen. Jack Shandy würde hier an Ort und Stelle warten, bis es dunkel würde, und wenn es die verdammten Narren bis dahin nicht geschafft hatten, wieder aufzutauchen, würde er irgendwie Hurwoods Laterne benutzen, um zu der Fackel zurückzukommen und durch den Dschungel zu den Booten und zurück ans Meer. Er würde diese Feigheit zweifellos später bereuen, aber zumindest würde er in der Lage sein, in der Sonne zu liegen und sich einen Drink zu genehmigen, während er es bereute.
    Shandy trat zurück, weg von der Brücke, und setzte sich. Er hatte vorgehabt, niemandem in die Augen zu sehen, aber als er Ausschau nach Hurwoods Laterne hielt, blickte er auf und stellte fest, dass Davies ihn anblickte.
    Der hagere alte Pirat grinste ihn offensichtlich erfreut an.
    Shandy grinste erleichtert zurück, froh darüber, dass Davies verstand … und dann wurde ihm klar, dass Davies dachte, er habe sich gesetzt, um sich die Stiefel auszuziehen.
    Und plötzlich begriff er unglücklich, dass er es nicht einfach aussitzen konnte. Es war dumm, ebenso dumm wie die Tat seines Vaters, der in einer Gasse in Nantes gegen eine Bande von Schlägern ein Schnitzmesser gezogen hatte, oder die Tat Kapitän Chaworth’, der mit einem unvertrauten Schwert auf einen mit einer Pistole bewaffneten Piratenkapitän losgegangen war. Aber irgendwie war ihm – vielleicht genau wie ihnen vor ihm – jeder andere Ausweg versperrt. Er zog seine Stiefel aus und stand wieder auf.
    Als Friend den Blick von der lächerlich zuckenden Gestalt Benjamin Hurwoods losriss, lagen Shandys Stiefel und Messer unbeachtet im Sand, und Shandy stand direkt vor ihm.
    » Was ist los?«, fragte Shandy den fetten Arzt. Seine Stimme zitterte nur ganz schwach. » Könnt Ihr mit einem Mädchen nur vertraulich werden, wenn es schläft?«
    Friends Gesicht wurde noch röter. » M-m-m-macht Euch n-nicht l-l-l – w-w-werdet n-nicht …«
    » Ich denke, er versucht zu sagen: ›Macht Euch nicht lächerlich‹, Jack«, kam Davies ihm zu Hilfe.
    » Meinst du?«, fragte Shandy, dessen Stimme immer noch ein wenig erregt klang. » Ich dachte, er wollte sagen: ›Ja, weil das die einzige Gelegenheit war, zu der selbst meine Mutter bei meinem Anblick nicht gewürgt hat.‹« Friend begann zu quäken und zu stottern, auf unheimliche Weise und in einer Knabenstimme; dann schoss ihm Blut aus der Nase, leuchtend rote Tropfen spritzten ihm auf das seidene Hemd und wurden vom Stoff aufgesaugt. Seine Knie drohten unter ihm nachzugeben, und für einen Moment dachte Shandy, der Arzt selbst würde ohnmächtig werden oder gar sterben.
    Dann richtete Friend sich auf, holte tief Luft und trat, ohne Shandy anzusehen, mit Beth auf die Brücke.
    Hurwood wälzte sich endlich herum und lächelte für einige Sekunden zum Himmel empor, dann zuckte er, schaute sich um, schreckte zusammen und stand auf. Er ging zur Brücke. » Friend und ich werden die Führung übernehmen«, war alles, was er sagte.
    Shandy und Davies folgten ihm auf die Brücke und zuletzt taten es ihnen Bonnett und der Bootsmann gleich. Der Bootsmann brach auf der Stelle zusammen und hinterließ nur ein Häufchen loser Kleidung. Shandy sah sich den Haufen genau an – es waren wirklich nur die Kleider. Von einem Körper gab es keine Spur.
    Hurwood hatte den Vorgang ebenfalls bemerkt und zog eine Augenbraue hoch. » Euer Diener war ein Toter?«
    » Nun … ja«, erwiderte Schwarzbart.
    » Ah.« Hurwood zuckte die Achseln. » War ja zu erwarten – Staub zu Staub, Ihr wisst