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In fremderen Gezeiten

In fremderen Gezeiten

Titel: In fremderen Gezeiten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tim Powers
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lautlos wie die auf dem Grund herumwandernden Flecken von Schatten und Sonnenschein durch den staubigen Vorgarten. Als er um die Ecke des Hauses gekommen war, sah er, dass der alte Petro am Bachufer entlangging und hie und da stehen blieb, um eine eckige Flasche nach der anderen aus dem Wasser zu nehmen, in das trübe Glas zu spähen, mit seinen langen Fingernägeln dagegen zu klopfen, die tropfende Flasche an sein Ohr zu halten und dann den Kopf zu schütteln und sich hinzuhocken, um die Flasche wieder zurück ins Wasser zu legen und eine andere herauszufischen.
    Thatch schaute zu, während er dieser Tätigkeit nachging, und schließlich verzog sich das Gesicht des alten Bocors zu einem Lächeln, als er an einer Flasche lauschte, und er klopfte wieder mit den Nägeln auf das Glas; und dann stand er einfach da, klopfte abwechselnd auf die Flasche und lauschte, wie ein eingekerkerter Gefangener, dessen Klopfsignale nach langer Zeit endlich eine wenn auch schwache Reaktion hervorgerufen haben.
    » Es ist unser Junge, in der Tat«, sagte er mit einer heiseren Altmännerstimme. » Gede, der Loa, der … erste Vormann sozusagen von dem, der dich will.«
    Thatch wurde klar, dass der alte Mann ihn wahrgenommen hatte und mit ihm sprach. Er blieb, wo er war, aber er rief: » Mich will? Ich habe ihn gewählt.«
    Der alte Mann gluckste. » Nun, wie dem auch sei, er ist sowieso nicht hier im Bach, und wir brauchen Gede, damit er ihn ruft. Natürlich ist von Gede auch nur eine Art Pfand hier. Dies ist nur ein Teil von ihm, in dieser Flasche, sein Bauchnabel, könntest du sagen – gerade genug, um ihn zu zwingen.« Petro drehte sich ganz um und kam in den Garten, wo Thatch stand. » Die Toten werden im Laufe der Zeit mächtig, musst du wissen, Junge. Was für deinen Großvater nur ein unruhiger Geist war, könnte für deine Enkelkinder ein ausgewachsener Loa sein. Und ich habe gelernt, sie zu beeinflussen, sie in gewisse Richtungen zu ziehen, wie man es mit einer Schlingpflanze tun würde. Der Bauer pflanzt einen Samen in den Boden, und eines Tages hat er einen Baum – ich habe einen Geist in eine Flasche unter fließendem Wasser gegeben, und eines Tages habe ich einen Loa.« Er grinste, zeigte einige Zähne in weißem Zahnfleisch und deutete mit der Flasche zum Bach hinunter. » Ich habe fast ein Dutzend bis zur Reife gebracht. Sie haben nicht ganz die Qualität der Loas von Rada, derjenigen, die mit uns aus Guinea übers Meer gekommen sind, aber ich kann sie wachsen lassen, bis sie das sind, was ich brauche.«
    Die Hühner im Schatten unter dem Haus erholten sich unterdessen von Thatchs Geste und begannen zu gackern und zu flattern. Petro zwinkerte und sie verstummten wieder. » Natürlich«, fuhr Petro fort, » ist derjenige, der dich will – oder den du willst, wenn dir das lieber ist –, der alte Baron Samedi, eine Kreatur von ganz anderem Kaliber.« Er schüttelte den Kopf, und seine Augen verengten sich zu einem Ausdruck, der nach Ehrfurcht aussah. » Ab und zu, nicht mehr als zwei oder drei Mal in meinem ganzen Leben, denke ich, habe ich zufällig einen gemacht, der zu sehr dem einen oder anderen glich, der bereits existierte, bereits da draußen war, und die Ähnlichkeit war zu stark, um sie voneinander getrennt zu halten. Also hatte ich plötzlich so ein Ding in einer Flasche, das zu groß dafür war – selbst wenn es nur ein kleines Pfand von ihm war darin. Mein verdammtes Haus wurde beinahe umgeworfen, als Baron Samedi zu groß wurde – die Flasche ging hoch wie eine Bombe, schleuderte Bäume in alle vier Himmelsrichtungen, und der Bach hat eine ganze Stunde gebraucht, um sich wieder zu füllen. Dort hinten ist immer noch ein breiter, tiefer Teich. Nichts will am Ufer wachsen und jedes Frühjahr muss ich mit dem Netz tote Kaulquappen herausfischen.«
    Der junge Thatch starrte entrüstet auf die Flasche. » Also, was Ihr da in Eurer Flasche habt, ist nur ein Diener von Baron Samedi?«
    » Mehr oder weniger. Aber Gede ist ein ranghoher Loa – er ist hier nur deswegen die Nummer zwei, weil der Baron so viel mehr ist. Und wie jeder andere Loa muss Gede eingeladen und dann angefleht werden, und man muss die Riten benutzen, die er verlangt, damit er tut, worum wir bitten. Nun, ich habe die Laken aus dem Bett, in dem ein böser Mann gestorben ist, und eine schwarze Robe für dich, und heute ist Samstag, Gedes heiliger Tag. Wir werden ihm ein Huhn und eine Ziege braten, und ich habe ein ganzes Fass mit Clairin – Rum

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